Seufzer einer Sehnsucht, die nichts zu nennen weiß als Träume und Thränen und Liebe, liegt wie eine stockende Ader beklemmend und verzehrend in meiner Brust -- -- Ach ich lache noch wie sonst, ich philo¬ sophire noch wie sonst, aber mein Inneres sieht nur der Geliebte, dem ichs jetzt entblöße.
O Schicksal, warum schlugst du in den Menschen den Funken einer Liebe, die in seinem eignen Her¬ zensblut ersticken muß? Ruht nicht in uns allen das holde Bild einer Geliebten, eines Geliebten, wovor wir weinen, wornach wir suchen, worauf wir hoffen, ach und so vergeblich, so vergeblich? -- Steht nicht der Mensch vor der Brust eines Menschen wie die Turteltaube vor dem Spiegel und girret wie diese sich heiser vor einem todten flachen Bilde darin, das er für die Schwester seiner klagenden Seele hält -- Warum frägt uns denn jeder schöne Frühlings¬ abend, jedes schmelzende Lied, jede überströmende Freude: wo hast du die geliebte Seele, der du deine Wonne sagst und giebst? Warum giebt die Musik dem bestürmten Herzen statt der Ruhe nur größere Wellen, wie das Geläute der Glocken die Ungewitter anstatt zu entfernen herunterzieht? Und warum ruft es draussen an einem schönen stillen hellen Tage, wenn du über das ganze aufgeschlagne Gemälde einer Landschaft siehest, über die Blumen-Meere, die auf ihr zittern, über die herabgeworfnen Wolkenschatten,
Seufzer einer Sehnſucht, die nichts zu nennen weiß als Traͤume und Thraͤnen und Liebe, liegt wie eine ſtockende Ader beklemmend und verzehrend in meiner Bruſt — — Ach ich lache noch wie ſonſt, ich philo¬ ſophire noch wie ſonſt, aber mein Inneres ſieht nur der Geliebte, dem ichs jetzt entbloͤße.
O Schickſal, warum ſchlugſt du in den Menſchen den Funken einer Liebe, die in ſeinem eignen Her¬ zensblut erſticken muß? Ruht nicht in uns allen das holde Bild einer Geliebten, eines Geliebten, wovor wir weinen, wornach wir ſuchen, worauf wir hoffen, ach und ſo vergeblich, ſo vergeblich? — Steht nicht der Menſch vor der Bruſt eines Menſchen wie die Turteltaube vor dem Spiegel und girret wie dieſe ſich heiſer vor einem todten flachen Bilde darin, das er fuͤr die Schweſter ſeiner klagenden Seele haͤlt — Warum fraͤgt uns denn jeder ſchoͤne Fruͤhlings¬ abend, jedes ſchmelzende Lied, jede uͤberſtroͤmende Freude: wo haſt du die geliebte Seele, der du deine Wonne ſagſt und giebſt? Warum giebt die Muſik dem beſtuͤrmten Herzen ſtatt der Ruhe nur groͤßere Wellen, wie das Gelaͤute der Glocken die Ungewitter anſtatt zu entfernen herunterzieht? Und warum ruft es drauſſen an einem ſchoͤnen ſtillen hellen Tage, wenn du uͤber das ganze aufgeſchlagne Gemaͤlde einer Landſchaft ſieheſt, uͤber die Blumen-Meere, die auf ihr zittern, uͤber die herabgeworfnen Wolkenſchatten,
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Seufzer einer Sehnſucht, die nichts zu nennen weiß
als Traͤume und Thraͤnen und Liebe, liegt wie eine
ſtockende Ader beklemmend und verzehrend in meiner
Bruſt — — Ach ich lache noch wie ſonſt, ich philo¬
ſophire noch wie ſonſt, aber mein Inneres ſieht nur
der Geliebte, dem ichs jetzt entbloͤße.
O Schickſal, warum ſchlugſt du in den Menſchen
den Funken einer Liebe, die in ſeinem eignen Her¬
zensblut erſticken muß? Ruht nicht in uns allen das
holde Bild einer Geliebten, eines Geliebten, wovor
wir weinen, wornach wir ſuchen, worauf wir hoffen,
ach und ſo vergeblich, ſo vergeblich? — Steht nicht
der Menſch vor der Bruſt eines Menſchen wie die
Turteltaube vor dem Spiegel und girret wie dieſe
ſich heiſer vor einem todten flachen Bilde darin, das
er fuͤr die Schweſter ſeiner klagenden Seele haͤlt
— Warum fraͤgt uns denn jeder ſchoͤne Fruͤhlings¬
abend, jedes ſchmelzende Lied, jede uͤberſtroͤmende
Freude: wo haſt du die geliebte Seele, der du deine
Wonne ſagſt und giebſt? Warum giebt die Muſik
dem beſtuͤrmten Herzen ſtatt der Ruhe nur groͤßere
Wellen, wie das Gelaͤute der Glocken die Ungewitter
anſtatt zu entfernen herunterzieht? Und warum ruft
es drauſſen an einem ſchoͤnen ſtillen hellen Tage,
wenn du uͤber das ganze aufgeſchlagne Gemaͤlde einer
Landſchaft ſieheſt, uͤber die Blumen-Meere, die auf
ihr zittern, uͤber die herabgeworfnen Wolkenſchatten,
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/110>, abgerufen am 23.11.2024.
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