Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

vor dir ist: so macht ihm dieser zweideutige Wech¬
sel der Szenen Schmerzen und vielleicht Flecken . . .

Nein, ich will meinen Emanuel nicht belügen --
-- Ach sind denn die Kleinigkeiten und die Stein¬
gen dieses Lebens werth, daß wir darum krumme
Gänge wählen, wie die Minirraupe durch die Aest¬
gen ihres Blattes sich zu Krümmungen zwingen läs¬
set? -- Nein, alles was ich gesagt habe, ist wahr;
aber ich hätt' es nicht gesagt, wenn nicht andre
Schmerzen mich auch auf jene führten; und doch
hättest du es mir, du unschuldig kindlich erhaben
trauender Lehrer geglaubt. Ach du hälst mich für
zu gut . . . o es ist ein weiter ermüdender Schritt
von der Bewunderung zur Nachahmung! -- Jetzt
aber blick' in mein geöfnetes Herz!

Seitdem ich hier im Todtenhaus meiner kindli¬
chen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheits¬
jahre geblühet und abgeblühet haben, vielleicht mit
zu vielen Träumen der Vergangenheit umher gehe;
-- und noch mehr: von dem Tage an, wo du mei¬
nem Herzen den Reiz zum Fieber Schlage auf mein
ganzes Leben gegeben, seitdem du mir das Leben
aufgedeckt, worin sich der Mensch zerblättert, und
den dünnen spitzigen Augenblick, auf dem er so
schmerzhaft steht, seid jener Abschieds Nacht, w
meine Seele groß und meine Thränen unerschöpflich
waren, rinnt eine ewige Wunde in mir und der

G 2

vor dir iſt: ſo macht ihm dieſer zweideutige Wech¬
ſel der Szenen Schmerzen und vielleicht Flecken . . .

Nein, ich will meinen Emanuel nicht beluͤgen —
— Ach ſind denn die Kleinigkeiten und die Stein¬
gen dieſes Lebens werth, daß wir darum krumme
Gaͤnge waͤhlen, wie die Minirraupe durch die Aeſt¬
gen ihres Blattes ſich zu Kruͤmmungen zwingen laͤſ¬
ſet? — Nein, alles was ich geſagt habe, iſt wahr;
aber ich haͤtt' es nicht geſagt, wenn nicht andre
Schmerzen mich auch auf jene fuͤhrten; und doch
haͤtteſt du es mir, du unſchuldig kindlich erhaben
trauender Lehrer geglaubt. Ach du haͤlſt mich fuͤr
zu gut . . . o es iſt ein weiter ermuͤdender Schritt
von der Bewunderung zur Nachahmung! — Jetzt
aber blick' in mein geoͤfnetes Herz!

Seitdem ich hier im Todtenhaus meiner kindli¬
chen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheits¬
jahre gebluͤhet und abgebluͤhet haben, vielleicht mit
zu vielen Traͤumen der Vergangenheit umher gehe;
— und noch mehr: von dem Tage an, wo du mei¬
nem Herzen den Reiz zum Fieber Schlage auf mein
ganzes Leben gegeben, ſeitdem du mir das Leben
aufgedeckt, worin ſich der Menſch zerblaͤttert, und
den duͤnnen ſpitzigen Augenblick, auf dem er ſo
ſchmerzhaft ſteht, ſeid jener Abſchieds Nacht, w
meine Seele groß und meine Thraͤnen unerſchoͤpflich
waren, rinnt eine ewige Wunde in mir und der

G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0109" n="99"/>
vor dir i&#x017F;t: &#x017F;o macht ihm die&#x017F;er zweideutige Wech¬<lb/>
&#x017F;el der Szenen Schmerzen und vielleicht Flecken . . .</p><lb/>
            <p>Nein, ich will meinen Emanuel nicht belu&#x0364;gen &#x2014;<lb/>
&#x2014; Ach &#x017F;ind denn die Kleinigkeiten und die Stein¬<lb/>
gen die&#x017F;es Lebens werth, daß wir darum krumme<lb/>
Ga&#x0364;nge wa&#x0364;hlen, wie die Minirraupe durch die Ae&#x017F;<lb/>
gen ihres Blattes &#x017F;ich zu Kru&#x0364;mmungen zwingen la&#x0364;&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;et? &#x2014; Nein, alles was ich ge&#x017F;agt habe, i&#x017F;t wahr;<lb/>
aber ich ha&#x0364;tt' es nicht ge&#x017F;agt, wenn nicht andre<lb/>
Schmerzen mich auch auf jene fu&#x0364;hrten; und doch<lb/>
ha&#x0364;tte&#x017F;t du es mir, du un&#x017F;chuldig kindlich erhaben<lb/>
trauender Lehrer geglaubt. Ach du ha&#x0364;l&#x017F;t mich fu&#x0364;r<lb/>
zu gut . . . o es i&#x017F;t ein weiter ermu&#x0364;dender Schritt<lb/>
von der Bewunderung zur Nachahmung! &#x2014; Jetzt<lb/>
aber blick' in mein geo&#x0364;fnetes Herz!</p><lb/>
            <p>Seitdem ich hier im Todtenhaus meiner kindli¬<lb/>
chen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheits¬<lb/>
jahre geblu&#x0364;het und abgeblu&#x0364;het haben, vielleicht mit<lb/>
zu vielen Tra&#x0364;umen der Vergangenheit umher gehe;<lb/>
&#x2014; und noch mehr: von dem Tage an, wo du mei¬<lb/>
nem Herzen den Reiz zum Fieber Schlage auf mein<lb/>
ganzes Leben gegeben, &#x017F;eitdem du mir das Leben<lb/>
aufgedeckt, worin &#x017F;ich der Men&#x017F;ch zerbla&#x0364;ttert, und<lb/>
den du&#x0364;nnen &#x017F;pitzigen Augenblick, auf dem er &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chmerzhaft &#x017F;teht, &#x017F;eid jener Ab&#x017F;chieds Nacht, w<lb/>
meine Seele groß und meine Thra&#x0364;nen uner&#x017F;cho&#x0364;pflich<lb/>
waren, rinnt eine ewige Wunde in mir und der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0109] vor dir iſt: ſo macht ihm dieſer zweideutige Wech¬ ſel der Szenen Schmerzen und vielleicht Flecken . . . Nein, ich will meinen Emanuel nicht beluͤgen — — Ach ſind denn die Kleinigkeiten und die Stein¬ gen dieſes Lebens werth, daß wir darum krumme Gaͤnge waͤhlen, wie die Minirraupe durch die Aeſt¬ gen ihres Blattes ſich zu Kruͤmmungen zwingen laͤſ¬ ſet? — Nein, alles was ich geſagt habe, iſt wahr; aber ich haͤtt' es nicht geſagt, wenn nicht andre Schmerzen mich auch auf jene fuͤhrten; und doch haͤtteſt du es mir, du unſchuldig kindlich erhaben trauender Lehrer geglaubt. Ach du haͤlſt mich fuͤr zu gut . . . o es iſt ein weiter ermuͤdender Schritt von der Bewunderung zur Nachahmung! — Jetzt aber blick' in mein geoͤfnetes Herz! Seitdem ich hier im Todtenhaus meiner kindli¬ chen Freuden, in den Beeten, wo meine Kindheits¬ jahre gebluͤhet und abgebluͤhet haben, vielleicht mit zu vielen Traͤumen der Vergangenheit umher gehe; — und noch mehr: von dem Tage an, wo du mei¬ nem Herzen den Reiz zum Fieber Schlage auf mein ganzes Leben gegeben, ſeitdem du mir das Leben aufgedeckt, worin ſich der Menſch zerblaͤttert, und den duͤnnen ſpitzigen Augenblick, auf dem er ſo ſchmerzhaft ſteht, ſeid jener Abſchieds Nacht, w meine Seele groß und meine Thraͤnen unerſchoͤpflich waren, rinnt eine ewige Wunde in mir und der G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/109
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/109>, abgerufen am 05.05.2024.