Lebens-Traum voll Töne, voll Gesänge, voll Auen liegst und wenn dich der Tod aufweckt, lächelst du noch über den heitern Traum.
Aber ach, mehr als ein Gewitter donnert hinein in den Lebenstraum von uns andern und macht ihn ängstlich. Wenn ein höheres Wesen in den Wirwar von Ideen treten könnte, der unsern Geist umgiebt und aus dem er seinen Athem holen muß, wie wir in einer aus allen Luftarten zusammengegossenen Luft¬ art athmen -- wenn er sähe, welche Nahrungsmittel durch unsern innern Menschen gehen, denen er sei¬ nen Milchsaft abgewinnen muß, dieses Gemenge von komischen Opern -- Bayle's Diktionaire -- Konzer¬ ten von Mozart -- Messiaden -- Kriegsoperationen -- Matthisons Gedichten -- Kants Schriften -- Fleuretten -- Monds-Anschauungen -- Lastern und Tugenden -- Menschen und Krankheiten aller Art -- -- -- wenn das Wesen diese Lebens-Olla-Potrida untersuchte: würd' es nicht begierig seyn, zu wissen, welche widersinnige Säfte dadurch in der armen Seele zusammen gerinnen, und würd' es sich nicht wundern, daß noch etwas Festes und Gleichförmiges im Menschen bleibt? -- Ach wenn dein Freund, Emanuel! bald in einem feinen Speisesaal, bald in einem Garten, bald in einer Loge, bald vor dem großen Nachthimmel, bald vor einer Kokette, bald
Lebens-Traum voll Toͤne, voll Geſaͤnge, voll Auen liegſt und wenn dich der Tod aufweckt, laͤchelſt du noch uͤber den heitern Traum.
Aber ach, mehr als ein Gewitter donnert hinein in den Lebenstraum von uns andern und macht ihn aͤngſtlich. Wenn ein hoͤheres Weſen in den Wirwar von Ideen treten koͤnnte, der unſern Geiſt umgiebt und aus dem er ſeinen Athem holen muß, wie wir in einer aus allen Luftarten zuſammengegoſſenen Luft¬ art athmen — wenn er ſaͤhe, welche Nahrungsmittel durch unſern innern Menſchen gehen, denen er ſei¬ nen Milchſaft abgewinnen muß, dieſes Gemenge von komiſchen Opern — Bayle's Diktionaire — Konzer¬ ten von Mozart — Meſſiaden — Kriegsoperationen — Matthiſons Gedichten — Kants Schriften — Fleuretten — Monds-Anſchauungen — Laſtern und Tugenden — Menſchen und Krankheiten aller Art — — — wenn das Weſen dieſe Lebens-Olla-Potrida unterſuchte: wuͤrd' es nicht begierig ſeyn, zu wiſſen, welche widerſinnige Saͤfte dadurch in der armen Seele zuſammen gerinnen, und wuͤrd' es ſich nicht wundern, daß noch etwas Feſtes und Gleichfoͤrmiges im Menſchen bleibt? — Ach wenn dein Freund, Emanuel! bald in einem feinen Speiſeſaal, bald in einem Garten, bald in einer Loge, bald vor dem großen Nachthimmel, bald vor einer Kokette, bald
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Lebens-Traum voll Toͤne, voll Geſaͤnge, voll Auen
liegſt und wenn dich der Tod aufweckt, laͤchelſt du
noch uͤber den heitern Traum.
Aber ach, mehr als ein Gewitter donnert hinein
in den Lebenstraum von uns andern und macht ihn
aͤngſtlich. Wenn ein hoͤheres Weſen in den Wirwar
von Ideen treten koͤnnte, der unſern Geiſt umgiebt
und aus dem er ſeinen Athem holen muß, wie wir
in einer aus allen Luftarten zuſammengegoſſenen Luft¬
art athmen — wenn er ſaͤhe, welche Nahrungsmittel
durch unſern innern Menſchen gehen, denen er ſei¬
nen Milchſaft abgewinnen muß, dieſes Gemenge von
komiſchen Opern — Bayle's Diktionaire — Konzer¬
ten von Mozart — Meſſiaden — Kriegsoperationen
— Matthiſons Gedichten — Kants Schriften —
Fleuretten — Monds-Anſchauungen — Laſtern und
Tugenden — Menſchen und Krankheiten aller Art
— — — wenn das Weſen dieſe Lebens-Olla-Potrida
unterſuchte: wuͤrd' es nicht begierig ſeyn, zu wiſſen,
welche widerſinnige Saͤfte dadurch in der armen
Seele zuſammen gerinnen, und wuͤrd' es ſich nicht
wundern, daß noch etwas Feſtes und Gleichfoͤrmiges
im Menſchen bleibt? — Ach wenn dein Freund,
Emanuel! bald in einem feinen Speiſeſaal, bald in
einem Garten, bald in einer Loge, bald vor dem
großen Nachthimmel, bald vor einer Kokette, bald
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/108>, abgerufen am 23.11.2024.
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