Maienthal, wo er die herrliche Landschaft um das Stift auf seine Blätter trug und den Kopf, der aus dem achten Fenster heraussah, in sein Herz. Der Mahler schreibt oder vielmehr kolorirt so.
"Wenn mein Ich ein einziger Gedanke ist und brennt und wenn ich, von Flammen umweht, die "Hand in Farben tauche, um mich darin abzukühlen "-- wenn dann die hohe Schönheit, *) die ewig in "mir stralet, ihr Spiegelbild herunter in die Far¬ "benfläche wirft und den klaren Strom entflammt, "wenn dann ein dem Himmel entsunknes Pallasbild "auf dem Strome ruht, eine Lilienhülle, die die "weggelegte Flügeldecke eines aufgeflognen Engels "ist -- eine Gestalt, deren unbefleckte Seele kein "Leib, sondern der Schnee umwallet, der um den "Thron Gottes liegt und aus dem die Engel ihre "flüchtigen Reisekörper bauen, **) und wenn die zar¬ "teste Bekleidung zu grob und hart und ein hölzer¬ "ner Rahmen um diesen geistigen Hauch auf dem "Antlitz ist, um diesen zitternden Blumensammt von "Fleisch, um diese Haut aus weißen Rosen von ro¬ "then durchglimmt -- wenn dieser Wiederschein mei¬ "ner erhöhten Seele auf die Farbenfläche fällt: so
*) Das Ideal des Schönen.
**) Wie die Rabbinen nach Eisenmengers Judenthum P. II. 7 glauben.
Maienthal, wo er die herrliche Landſchaft um das Stift auf ſeine Blaͤtter trug und den Kopf, der aus dem achten Fenſter herausſah, in ſein Herz. Der Mahler ſchreibt oder vielmehr kolorirt ſo.
»Wenn mein Ich ein einziger Gedanke iſt und brennt und wenn ich, von Flammen umweht, die »Hand in Farben tauche, um mich darin abzukuͤhlen »— wenn dann die hohe Schoͤnheit, *) die ewig in »mir ſtralet, ihr Spiegelbild herunter in die Far¬ »benflaͤche wirft und den klaren Strom entflammt, »wenn dann ein dem Himmel entſunknes Pallasbild »auf dem Strome ruht, eine Lilienhuͤlle, die die »weggelegte Fluͤgeldecke eines aufgeflognen Engels »iſt — eine Geſtalt, deren unbefleckte Seele kein »Leib, ſondern der Schnee umwallet, der um den »Thron Gottes liegt und aus dem die Engel ihre »fluͤchtigen Reiſekoͤrper bauen, **) und wenn die zar¬ »teſte Bekleidung zu grob und hart und ein hoͤlzer¬ »ner Rahmen um dieſen geiſtigen Hauch auf dem »Antlitz iſt, um dieſen zitternden Blumenſammt von »Fleiſch, um dieſe Haut aus weißen Roſen von ro¬ »then durchglimmt — wenn dieſer Wiederſchein mei¬ »ner erhoͤhten Seele auf die Farbenflaͤche faͤllt: ſo
*) Das Ideal des Schoͤnen.
**) Wie die Rabbinen nach Eiſenmengers Judenthum P. II. 7 glauben.
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Maienthal, wo er die herrliche Landſchaft um das
Stift auf ſeine Blaͤtter trug und den Kopf, der aus
dem achten Fenſter herausſah, in ſein Herz. Der
Mahler ſchreibt oder vielmehr kolorirt ſo.
»Wenn mein Ich ein einziger Gedanke iſt und
brennt und wenn ich, von Flammen umweht, die
»Hand in Farben tauche, um mich darin abzukuͤhlen
»— wenn dann die hohe Schoͤnheit, *) die ewig in
»mir ſtralet, ihr Spiegelbild herunter in die Far¬
»benflaͤche wirft und den klaren Strom entflammt,
»wenn dann ein dem Himmel entſunknes Pallasbild
»auf dem Strome ruht, eine Lilienhuͤlle, die die
»weggelegte Fluͤgeldecke eines aufgeflognen Engels
»iſt — eine Geſtalt, deren unbefleckte Seele kein
»Leib, ſondern der Schnee umwallet, der um den
»Thron Gottes liegt und aus dem die Engel ihre
»fluͤchtigen Reiſekoͤrper bauen, **) und wenn die zar¬
»teſte Bekleidung zu grob und hart und ein hoͤlzer¬
»ner Rahmen um dieſen geiſtigen Hauch auf dem
»Antlitz iſt, um dieſen zitternden Blumenſammt von
»Fleiſch, um dieſe Haut aus weißen Roſen von ro¬
»then durchglimmt — wenn dieſer Wiederſchein mei¬
»ner erhoͤhten Seele auf die Farbenflaͤche faͤllt: ſo
*) Das Ideal des Schoͤnen.
**) Wie die Rabbinen nach Eiſenmengers Judenthum P. II.
7 glauben.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/97>, abgerufen am 21.12.2024.
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