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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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"wendet sich jeder um und denkt: Klotilde steht am
"Ufer da und schlummert. . . . Und hier ist meine
"Kunst aus: denn ach wenn sie erwacht und wenn
"erst die Seele diese Reize wie Schwingen bewegt
"-- wenn die verschlossene Lippenknospe zum Lächeln
"aufbricht und der Busen einen halben Seufzer ein¬
"einathmet und blöde nicht ausathmet -- wenn die
"Seufzer in Gesänge verhüllet aus diesen Lippen, die
"wie zwei Seelen einander überschweben, aber nicht
"betasten, wie Bienen aus Rosen ziehen -- wenn
"das Auge zwischen Glanz und Thränen sich be¬
"wegt -- wenn dann endlich die Göttin der himm¬
"lischen Liebe zu ihrer Tochter tritt und elektrisch
"ihr stilles Herz berührt und sagt: liebe auch! und
"nun alle Reize erbeben und aufblühen, zögern und
"schmachten, hoffen und zagen, und sich das träu¬
"mende Herz tiefer in seine Blüten verschließet und
"zitternd sich vor dem Glücklichen hinter eine Thrä¬
"ne versteckt, der es erräth und verdient. . . Dann
"verstummt die Glückliche, der Glückliche und der
"Mahler. -- --

Dem Viktor kam es vor als wenn auf einmal
sein Blut herausgedrungen wäre und mit warmen
Berührungen außen auf der Haut seine Zirkel be¬
schriebe. Endlich brachte Klotildens kaltes Auge,
das nicht der trunkne Stolz auf Reize sondern der
nüchterne zurücktretende und nur dem weiblichen

»wendet ſich jeder um und denkt: Klotilde ſteht am
»Ufer da und ſchlummert. . . . Und hier iſt meine
»Kunſt aus: denn ach wenn ſie erwacht und wenn
»erſt die Seele dieſe Reize wie Schwingen bewegt
»— wenn die verſchloſſene Lippenknoſpe zum Laͤcheln
»aufbricht und der Buſen einen halben Seufzer ein¬
»einathmet und bloͤde nicht ausathmet — wenn die
»Seufzer in Geſaͤnge verhuͤllet aus dieſen Lippen, die
»wie zwei Seelen einander uͤberſchweben, aber nicht
»betaſten, wie Bienen aus Roſen ziehen — wenn
»das Auge zwiſchen Glanz und Thraͤnen ſich be¬
»wegt — wenn dann endlich die Goͤttin der himm¬
»liſchen Liebe zu ihrer Tochter tritt und elektriſch
»ihr ſtilles Herz beruͤhrt und ſagt: liebe auch! und
»nun alle Reize erbeben und aufbluͤhen, zoͤgern und
»ſchmachten, hoffen und zagen, und ſich das traͤu¬
»mende Herz tiefer in ſeine Bluͤten verſchließet und
»zitternd ſich vor dem Gluͤcklichen hinter eine Thraͤ¬
»ne verſteckt, der es erraͤth und verdient. . . Dann
»verſtummt die Gluͤckliche, der Gluͤckliche und der
»Mahler. — —

Dem Viktor kam es vor als wenn auf einmal
ſein Blut herausgedrungen waͤre und mit warmen
Beruͤhrungen außen auf der Haut ſeine Zirkel be¬
ſchriebe. Endlich brachte Klotildens kaltes Auge,
das nicht der trunkne Stolz auf Reize ſondern der
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[87/0098] »wendet ſich jeder um und denkt: Klotilde ſteht am »Ufer da und ſchlummert. . . . Und hier iſt meine »Kunſt aus: denn ach wenn ſie erwacht und wenn »erſt die Seele dieſe Reize wie Schwingen bewegt »— wenn die verſchloſſene Lippenknoſpe zum Laͤcheln »aufbricht und der Buſen einen halben Seufzer ein¬ »einathmet und bloͤde nicht ausathmet — wenn die »Seufzer in Geſaͤnge verhuͤllet aus dieſen Lippen, die »wie zwei Seelen einander uͤberſchweben, aber nicht »betaſten, wie Bienen aus Roſen ziehen — wenn »das Auge zwiſchen Glanz und Thraͤnen ſich be¬ »wegt — wenn dann endlich die Goͤttin der himm¬ »liſchen Liebe zu ihrer Tochter tritt und elektriſch »ihr ſtilles Herz beruͤhrt und ſagt: liebe auch! und »nun alle Reize erbeben und aufbluͤhen, zoͤgern und »ſchmachten, hoffen und zagen, und ſich das traͤu¬ »mende Herz tiefer in ſeine Bluͤten verſchließet und »zitternd ſich vor dem Gluͤcklichen hinter eine Thraͤ¬ »ne verſteckt, der es erraͤth und verdient. . . Dann »verſtummt die Gluͤckliche, der Gluͤckliche und der »Mahler. — — Dem Viktor kam es vor als wenn auf einmal ſein Blut herausgedrungen waͤre und mit warmen Beruͤhrungen außen auf der Haut ſeine Zirkel be¬ ſchriebe. Endlich brachte Klotildens kaltes Auge, das nicht der trunkne Stolz auf Reize ſondern der nuͤchterne zuruͤcktretende und nur dem weiblichen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/98>, abgerufen am 19.05.2024.