Das Laubsprachgitter hörte auf: eine weibliche Gestalt trat hervor, und Viktor war darüber so be¬ troffen, daß er, der wenig von Verlegenheiten wuste oder durch sie nur geistreicher wurde, seine Anzugspredigt ohne das Exordium anfing. Und das war -- Klotilde.
Als sie drei Worte sagte: hörte er so sehr auf die Melodie, nicht auf den Text, daß er nichts da¬ von verstand. . .
-- Hier liegt auf dem schneeweißen Grund von Schweizerpapier eben ihre Silhouette, die Matthieu damals geschnitten, neben mir und ich sehe sie an, um mich zu begeistern, erstlich weil die Silhouette die gröste Aehnlichkeit mit dem schönsten andern weiblichen Engel hat, der noch aus einem unbekannten Him¬ mel in diese Erde hereingeflogen, ich meine mit dem Fräulein von * * *, jetziger Hofdame in Scheerau; zweitens weil mein Korrespondent verlangt, ich sollte Klotilden recht schön schildern, weil man sonst eine Menge Dinge in dieser Historie nicht begriffe. Er traut aber meiner Phantasie nicht, weil ich sie noch nicht gesehen; und schickt mir die folgende Feder¬ zeichnung eines jungen Mahlers, die wenigstens nicht -- kalt ist: denn Mahler schreiben im ästhetischen und im kallygraphischen Sinn selten gut. Blos um Klotilden zu sehen und zu zeichnen, lag der Mahler fast alle Morgen aus einem Berge von
Das Laubſprachgitter hoͤrte auf: eine weibliche Geſtalt trat hervor, und Viktor war daruͤber ſo be¬ troffen, daß er, der wenig von Verlegenheiten wuſte oder durch ſie nur geiſtreicher wurde, ſeine Anzugspredigt ohne das Exordium anfing. Und das war — Klotilde.
Als ſie drei Worte ſagte: hoͤrte er ſo ſehr auf die Melodie, nicht auf den Text, daß er nichts da¬ von verſtand. . .
— Hier liegt auf dem ſchneeweißen Grund von Schweizerpapier eben ihre Silhouette, die Matthieu damals geſchnitten, neben mir und ich ſehe ſie an, um mich zu begeiſtern, erſtlich weil die Silhouette die groͤſte Aehnlichkeit mit dem ſchoͤnſten andern weiblichen Engel hat, der noch aus einem unbekannten Him¬ mel in dieſe Erde hereingeflogen, ich meine mit dem Fraͤulein von * * *, jetziger Hofdame in Scheerau; zweitens weil mein Korreſpondent verlangt, ich ſollte Klotilden recht ſchoͤn ſchildern, weil man ſonſt eine Menge Dinge in dieſer Hiſtorie nicht begriffe. Er traut aber meiner Phantaſie nicht, weil ich ſie noch nicht geſehen; und ſchickt mir die folgende Feder¬ zeichnung eines jungen Mahlers, die wenigſtens nicht — kalt iſt: denn Mahler ſchreiben im aͤſthetiſchen und im kallygraphiſchen Sinn ſelten gut. Blos um Klotilden zu ſehen und zu zeichnen, lag der Mahler faſt alle Morgen aus einem Berge von
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0096"n="85"/><p>Das Laubſprachgitter hoͤrte auf: eine weibliche<lb/>
Geſtalt trat hervor, und Viktor war daruͤber ſo <hirendition="#g">be¬<lb/>
troffen</hi>, daß er, der wenig von Verlegenheiten<lb/>
wuſte oder durch ſie nur geiſtreicher wurde, ſeine<lb/>
Anzugspredigt ohne das Exordium anfing. Und das<lb/>
war — Klotilde.</p><lb/><p>Als ſie drei Worte ſagte: hoͤrte er ſo ſehr auf<lb/>
die Melodie, nicht auf den Text, daß er nichts da¬<lb/>
von verſtand. . .</p><lb/><p>— Hier liegt auf dem ſchneeweißen Grund von<lb/>
Schweizerpapier eben ihre Silhouette, die Matthieu<lb/>
damals geſchnitten, neben mir und ich ſehe ſie an,<lb/>
um mich zu begeiſtern, erſtlich weil die Silhouette die<lb/>
groͤſte Aehnlichkeit mit dem ſchoͤnſten andern weiblichen<lb/>
Engel hat, der noch aus einem unbekannten Him¬<lb/>
mel in dieſe Erde hereingeflogen, ich meine mit dem<lb/>
Fraͤulein von * * *, jetziger Hofdame in Scheerau;<lb/>
zweitens weil mein Korreſpondent verlangt, ich ſollte<lb/>
Klotilden recht ſchoͤn ſchildern, weil man ſonſt eine<lb/>
Menge Dinge in dieſer Hiſtorie nicht begriffe. Er<lb/>
traut aber meiner Phantaſie nicht, weil ich ſie noch<lb/>
nicht geſehen; und ſchickt mir die folgende Feder¬<lb/>
zeichnung eines jungen Mahlers, die wenigſtens nicht<lb/>— kalt iſt: denn Mahler ſchreiben im <hirendition="#g">aͤſthetiſchen</hi><lb/>
und im <hirendition="#g">kallygraphiſchen</hi> Sinn ſelten gut. Blos<lb/>
um Klotilden zu ſehen und zu zeichnen, lag der<lb/>
Mahler faſt alle Morgen aus einem Berge von<lb/></p></div></body></text></TEI>
[85/0096]
Das Laubſprachgitter hoͤrte auf: eine weibliche
Geſtalt trat hervor, und Viktor war daruͤber ſo be¬
troffen, daß er, der wenig von Verlegenheiten
wuſte oder durch ſie nur geiſtreicher wurde, ſeine
Anzugspredigt ohne das Exordium anfing. Und das
war — Klotilde.
Als ſie drei Worte ſagte: hoͤrte er ſo ſehr auf
die Melodie, nicht auf den Text, daß er nichts da¬
von verſtand. . .
— Hier liegt auf dem ſchneeweißen Grund von
Schweizerpapier eben ihre Silhouette, die Matthieu
damals geſchnitten, neben mir und ich ſehe ſie an,
um mich zu begeiſtern, erſtlich weil die Silhouette die
groͤſte Aehnlichkeit mit dem ſchoͤnſten andern weiblichen
Engel hat, der noch aus einem unbekannten Him¬
mel in dieſe Erde hereingeflogen, ich meine mit dem
Fraͤulein von * * *, jetziger Hofdame in Scheerau;
zweitens weil mein Korreſpondent verlangt, ich ſollte
Klotilden recht ſchoͤn ſchildern, weil man ſonſt eine
Menge Dinge in dieſer Hiſtorie nicht begriffe. Er
traut aber meiner Phantaſie nicht, weil ich ſie noch
nicht geſehen; und ſchickt mir die folgende Feder¬
zeichnung eines jungen Mahlers, die wenigſtens nicht
— kalt iſt: denn Mahler ſchreiben im aͤſthetiſchen
und im kallygraphiſchen Sinn ſelten gut. Blos
um Klotilden zu ſehen und zu zeichnen, lag der
Mahler faſt alle Morgen aus einem Berge von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/96>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.