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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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Das Laubsprachgitter hörte auf: eine weibliche
Gestalt trat hervor, und Viktor war darüber so be¬
troffen
, daß er, der wenig von Verlegenheiten
wuste oder durch sie nur geistreicher wurde, seine
Anzugspredigt ohne das Exordium anfing. Und das
war -- Klotilde.

Als sie drei Worte sagte: hörte er so sehr auf
die Melodie, nicht auf den Text, daß er nichts da¬
von verstand. . .

-- Hier liegt auf dem schneeweißen Grund von
Schweizerpapier eben ihre Silhouette, die Matthieu
damals geschnitten, neben mir und ich sehe sie an,
um mich zu begeistern, erstlich weil die Silhouette die
gröste Aehnlichkeit mit dem schönsten andern weiblichen
Engel hat, der noch aus einem unbekannten Him¬
mel in diese Erde hereingeflogen, ich meine mit dem
Fräulein von * * *, jetziger Hofdame in Scheerau;
zweitens weil mein Korrespondent verlangt, ich sollte
Klotilden recht schön schildern, weil man sonst eine
Menge Dinge in dieser Historie nicht begriffe. Er
traut aber meiner Phantasie nicht, weil ich sie noch
nicht gesehen; und schickt mir die folgende Feder¬
zeichnung eines jungen Mahlers, die wenigstens nicht
-- kalt ist: denn Mahler schreiben im ästhetischen
und im kallygraphischen Sinn selten gut. Blos
um Klotilden zu sehen und zu zeichnen, lag der
Mahler fast alle Morgen aus einem Berge von

Das Laubſprachgitter hoͤrte auf: eine weibliche
Geſtalt trat hervor, und Viktor war daruͤber ſo be¬
troffen
, daß er, der wenig von Verlegenheiten
wuſte oder durch ſie nur geiſtreicher wurde, ſeine
Anzugspredigt ohne das Exordium anfing. Und das
war — Klotilde.

Als ſie drei Worte ſagte: hoͤrte er ſo ſehr auf
die Melodie, nicht auf den Text, daß er nichts da¬
von verſtand. . .

— Hier liegt auf dem ſchneeweißen Grund von
Schweizerpapier eben ihre Silhouette, die Matthieu
damals geſchnitten, neben mir und ich ſehe ſie an,
um mich zu begeiſtern, erſtlich weil die Silhouette die
groͤſte Aehnlichkeit mit dem ſchoͤnſten andern weiblichen
Engel hat, der noch aus einem unbekannten Him¬
mel in dieſe Erde hereingeflogen, ich meine mit dem
Fraͤulein von * * *, jetziger Hofdame in Scheerau;
zweitens weil mein Korreſpondent verlangt, ich ſollte
Klotilden recht ſchoͤn ſchildern, weil man ſonſt eine
Menge Dinge in dieſer Hiſtorie nicht begriffe. Er
traut aber meiner Phantaſie nicht, weil ich ſie noch
nicht geſehen; und ſchickt mir die folgende Feder¬
zeichnung eines jungen Mahlers, die wenigſtens nicht
— kalt iſt: denn Mahler ſchreiben im aͤſthetiſchen
und im kallygraphiſchen Sinn ſelten gut. Blos
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[85/0096] Das Laubſprachgitter hoͤrte auf: eine weibliche Geſtalt trat hervor, und Viktor war daruͤber ſo be¬ troffen, daß er, der wenig von Verlegenheiten wuſte oder durch ſie nur geiſtreicher wurde, ſeine Anzugspredigt ohne das Exordium anfing. Und das war — Klotilde. Als ſie drei Worte ſagte: hoͤrte er ſo ſehr auf die Melodie, nicht auf den Text, daß er nichts da¬ von verſtand. . . — Hier liegt auf dem ſchneeweißen Grund von Schweizerpapier eben ihre Silhouette, die Matthieu damals geſchnitten, neben mir und ich ſehe ſie an, um mich zu begeiſtern, erſtlich weil die Silhouette die groͤſte Aehnlichkeit mit dem ſchoͤnſten andern weiblichen Engel hat, der noch aus einem unbekannten Him¬ mel in dieſe Erde hereingeflogen, ich meine mit dem Fraͤulein von * * *, jetziger Hofdame in Scheerau; zweitens weil mein Korreſpondent verlangt, ich ſollte Klotilden recht ſchoͤn ſchildern, weil man ſonſt eine Menge Dinge in dieſer Hiſtorie nicht begriffe. Er traut aber meiner Phantaſie nicht, weil ich ſie noch nicht geſehen; und ſchickt mir die folgende Feder¬ zeichnung eines jungen Mahlers, die wenigſtens nicht — kalt iſt: denn Mahler ſchreiben im aͤſthetiſchen und im kallygraphiſchen Sinn ſelten gut. Blos um Klotilden zu ſehen und zu zeichnen, lag der Mahler faſt alle Morgen aus einem Berge von

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/96>, abgerufen am 30.12.2024.