nens Fluren, zwischen frohen Sonntagen in lauter Blumen und bei geliebten Gesichtern, diese Kna¬ benjahre hatten einen dunkeln Spiegel in Händen, in dem die dämmernde Perspektive seiner Kinder¬ jahre zurücklief -- und in dieser magischen entfern¬ ten Nacht stand schimmernd Dahore, sein unver¬ geßlicher Lehrer in London, der ihn so geliebt, so geschont, so veredelt hatte. "Ach, dacht' er, du unbe¬ "lohntes, für die Erde zu warmes Herz, wo schlägst "du jetzt, warum kann ich nicht meine Seufzer mit "deinen vereinigen, und zu dir sagen: Lehrer, Ge¬ "liebter, o der Mensch sieht es oft spät ein, wie "sehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undank¬ "bar er war und wie groß das verkannte Herz." . . Was seine stille Freude am meisten ernährte, war der Gedanke, daß er sie verdiene durch seinen kind¬ lichen Gehorsam gegen seinen Vater und durch sei¬ nen Entschluß zu künftigen Herkules-Arbeiten am Hofe -- denn ihm fiel in jede große Freude der Skrupel wie ein bitterer Magentropfen hinein, ob er sie verdiene; ein Skrupel, der regierenden Häu¬ sern, Woiwoden, Patriarchen und Hochmeistern in der Kindheit geschickt benommen wird. Der bessere Mensch findet die Freude erst nach einer guten That am süßesten, das Osterfest nach einer Passionswoche.
Die Leserinnen werden jetzt hören wollen, was auf Mittag gekocht war; aber die Dokumente die¬
nens Fluren, zwiſchen frohen Sonntagen in lauter Blumen und bei geliebten Geſichtern, dieſe Kna¬ benjahre hatten einen dunkeln Spiegel in Haͤnden, in dem die daͤmmernde Perſpektive ſeiner Kinder¬ jahre zuruͤcklief — und in dieſer magiſchen entfern¬ ten Nacht ſtand ſchimmernd Dahore, ſein unver¬ geßlicher Lehrer in London, der ihn ſo geliebt, ſo geſchont, ſo veredelt hatte. »Ach, dacht' er, du unbe¬ »lohntes, fuͤr die Erde zu warmes Herz, wo ſchlaͤgſt »du jetzt, warum kann ich nicht meine Seufzer mit »deinen vereinigen, und zu dir ſagen: Lehrer, Ge¬ »liebter, o der Menſch ſieht es oft ſpaͤt ein, wie »ſehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undank¬ »bar er war und wie groß das verkannte Herz.« . . Was ſeine ſtille Freude am meiſten ernaͤhrte, war der Gedanke, daß er ſie verdiene durch ſeinen kind¬ lichen Gehorſam gegen ſeinen Vater und durch ſei¬ nen Entſchluß zu kuͤnftigen Herkules-Arbeiten am Hofe — denn ihm fiel in jede große Freude der Skrupel wie ein bitterer Magentropfen hinein, ob er ſie verdiene; ein Skrupel, der regierenden Haͤu¬ ſern, Woiwoden, Patriarchen und Hochmeiſtern in der Kindheit geſchickt benommen wird. Der beſſere Menſch findet die Freude erſt nach einer guten That am ſuͤßeſten, das Oſterfeſt nach einer Paſſionswoche.
Die Leſerinnen werden jetzt hoͤren wollen, was auf Mittag gekocht war; aber die Dokumente die¬
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benjahre hatten einen dunkeln Spiegel in Haͤnden,
in dem die daͤmmernde Perſpektive ſeiner Kinder¬
jahre zuruͤcklief — und in dieſer magiſchen entfern¬
ten Nacht ſtand ſchimmernd Dahore, ſein unver¬
geßlicher Lehrer in London, der ihn ſo geliebt, ſo
geſchont, ſo veredelt hatte. »Ach, dacht' er, du unbe¬
»lohntes, fuͤr die Erde zu warmes Herz, wo ſchlaͤgſt
»du jetzt, warum kann ich nicht meine Seufzer mit
»deinen vereinigen, und zu dir ſagen: Lehrer, Ge¬
»liebter, o der Menſch ſieht es oft ſpaͤt ein, wie
»ſehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undank¬
»bar er war und wie groß das verkannte Herz.« . .
Was ſeine ſtille Freude am meiſten ernaͤhrte, war
der Gedanke, daß er ſie verdiene durch ſeinen kind¬
lichen Gehorſam gegen ſeinen Vater und durch ſei¬
nen Entſchluß zu kuͤnftigen Herkules-Arbeiten am
Hofe — denn ihm fiel in jede große Freude der
Skrupel wie ein bitterer Magentropfen hinein, ob
er ſie verdiene; ein Skrupel, der regierenden Haͤu¬
ſern, Woiwoden, Patriarchen und Hochmeiſtern in
der Kindheit geſchickt benommen wird. Der beſſere
Menſch findet die Freude erſt nach einer guten That
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/73>, abgerufen am 21.12.2024.
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