Leute hinterdrein als im Hause waren und wollten sämtlich sehen, was er dazu sagte.
Er übergab sich der ganzen freundschaftlichen Ma¬ nipulation, nicht mit der eiteln Superiorität eines ausgebildeten Fremdlings, sondern mit einer ver¬ gnügten, folgsamen fast kindlichen Verwirrung -- er schor sich nichts darum, daß er wie ein Kind aus¬ sah, so sanft, so froh und so ohne Pretensionen. In solchen Stunden ists schwer, zu sitzen -- oder eine Historie anzuhören -- oder eine zu erzählen. . . . . Jedes fing eine an; aber der Kaplan sprang dazwi¬ schen: "wir haben ganz andere Dinge zu sagen." Aber es kamen keine ganz andere Dinge. -- Jedes wollte den Fremdling unter vier Ohren genießen, aber die sechs restirenden Ohren waren nicht wegzu¬ bringen. -- Meine Beschreibung seiner Verwirrung ist selber verwirrt; aber es geht mir allemal so: z. B. wenn ich Eiligkeit schildere: so thu' ichs unbe¬ wust selber mit der grösten. -- Wars einem solchen Herzen wie seinem, das in den Federn der Liebe wiegend hing, noch nöthig, daß es sah in jedem zersägten Fensterstock, in jedem glatten Pflasterstein¬ chen, in jeder vom Regen gebohrten vertieften Ar¬ beit im Hausthürstein seine Knabenjahre musivisch abgebildet, und daß er genoß in denselben Gegenstän¬ den Alter und Neuheit? diese Knabenjahre, die ihm aus einem Schatten erschienen, wohnend auf St. Lü¬
Leute hinterdrein als im Hauſe waren und wollten ſaͤmtlich ſehen, was er dazu ſagte.
Er uͤbergab ſich der ganzen freundſchaftlichen Ma¬ nipulation, nicht mit der eiteln Superioritaͤt eines ausgebildeten Fremdlings, ſondern mit einer ver¬ gnuͤgten, folgſamen faſt kindlichen Verwirrung — er ſchor ſich nichts darum, daß er wie ein Kind aus¬ ſah, ſo ſanft, ſo froh und ſo ohne Pretenſionen. In ſolchen Stunden iſts ſchwer, zu ſitzen — oder eine Hiſtorie anzuhoͤren — oder eine zu erzaͤhlen. . . . . Jedes fing eine an; aber der Kaplan ſprang dazwi¬ ſchen: »wir haben ganz andere Dinge zu ſagen.« Aber es kamen keine ganz andere Dinge. — Jedes wollte den Fremdling unter vier Ohren genießen, aber die ſechs reſtirenden Ohren waren nicht wegzu¬ bringen. — Meine Beſchreibung ſeiner Verwirrung iſt ſelber verwirrt; aber es geht mir allemal ſo: z. B. wenn ich Eiligkeit ſchildere: ſo thu' ichs unbe¬ wuſt ſelber mit der groͤſten. — Wars einem ſolchen Herzen wie ſeinem, das in den Federn der Liebe wiegend hing, noch noͤthig, daß es ſah in jedem zerſaͤgten Fenſterſtock, in jedem glatten Pflaſterſtein¬ chen, in jeder vom Regen gebohrten vertieften Ar¬ beit im Hausthuͤrſtein ſeine Knabenjahre muſiviſch abgebildet, und daß er genoß in denſelben Gegenſtaͤn¬ den Alter und Neuheit? dieſe Knabenjahre, die ihm aus einem Schatten erſchienen, wohnend auf St. Luͤ¬
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[61/0072]
Leute hinterdrein als im Hauſe waren und wollten
ſaͤmtlich ſehen, was er dazu ſagte.
Er uͤbergab ſich der ganzen freundſchaftlichen Ma¬
nipulation, nicht mit der eiteln Superioritaͤt eines
ausgebildeten Fremdlings, ſondern mit einer ver¬
gnuͤgten, folgſamen faſt kindlichen Verwirrung — er
ſchor ſich nichts darum, daß er wie ein Kind aus¬
ſah, ſo ſanft, ſo froh und ſo ohne Pretenſionen. In
ſolchen Stunden iſts ſchwer, zu ſitzen — oder eine
Hiſtorie anzuhoͤren — oder eine zu erzaͤhlen. . . . .
Jedes fing eine an; aber der Kaplan ſprang dazwi¬
ſchen: »wir haben ganz andere Dinge zu ſagen.«
Aber es kamen keine ganz andere Dinge. — Jedes
wollte den Fremdling unter vier Ohren genießen,
aber die ſechs reſtirenden Ohren waren nicht wegzu¬
bringen. — Meine Beſchreibung ſeiner Verwirrung
iſt ſelber verwirrt; aber es geht mir allemal ſo: z.
B. wenn ich Eiligkeit ſchildere: ſo thu' ichs unbe¬
wuſt ſelber mit der groͤſten. — Wars einem ſolchen
Herzen wie ſeinem, das in den Federn der Liebe
wiegend hing, noch noͤthig, daß es ſah in jedem
zerſaͤgten Fenſterſtock, in jedem glatten Pflaſterſtein¬
chen, in jeder vom Regen gebohrten vertieften Ar¬
beit im Hausthuͤrſtein ſeine Knabenjahre muſiviſch
abgebildet, und daß er genoß in denſelben Gegenſtaͤn¬
den Alter und Neuheit? dieſe Knabenjahre, die ihm
aus einem Schatten erſchienen, wohnend auf St. Luͤ¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/72>, abgerufen am 21.12.2024.
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