Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

ses Posttags, die mir halb auf der Achse halb zu
Wasser einlaufen, besagen, erstlich daß niemand Ap¬
petit hatte -- die Freude nimmt ihn mehr als der
Gram -- ausgenommen die drei Regimenter, die
wie Veteranen, in den Feind einhieben, nämlich in
den Tafel-Abhub; zweitens daß das Diner noch
magerer war als der Gast selber. Man will aber
sämtliche Lesegesellschaften hiemit auf das unbeweg¬
liche
Fest des 4ten Maies invitiren, wo erst Viktors
Ankunft und seines Pathgens Kirchgang anständig
gefeiert wird.

Die Pfarrerin zog den umzingelten Geliebten
Nachmittags aus dem musikalischen Zirkel so vieler
Töne und kaperte ihn ihrem Manne, dessen Direktri¬
ce und Lady Maire sie war, vor den Augen weg
und führte ihn in sein Zimmer, um da vor ihm al¬
lein sich zu betrüben, sich zu erfreuen und sich aus¬
zureden wie eine Mutter: lang eingeschlossene Seuf¬
zer und veraltete Thränen drangen jetzt aus dem
geöfneten Mutterherzen in das fremde weiche über,
das ja der beste Freund ihres Sohnes war. Sie
klagte bei ihm über Flamins Aufbrausen, das Vik¬
tor sonst immer gestillet; "über seine Liebe zum Sol¬
"datenwesen, da er doch ein Gelehrter sey" -- und
endlich über seine Gesellschaft. "Er treibe sich
"nämlich mit einem Hofjunker Matthieu -- Sohn
"des Ministers von Schleunes -- herum, einem

ſes Poſttags, die mir halb auf der Achſe halb zu
Waſſer einlaufen, beſagen, erſtlich daß niemand Ap¬
petit hatte — die Freude nimmt ihn mehr als der
Gram — ausgenommen die drei Regimenter, die
wie Veteranen, in den Feind einhieben, naͤmlich in
den Tafel-Abhub; zweitens daß das Diner noch
magerer war als der Gaſt ſelber. Man will aber
ſaͤmtliche Leſegeſellſchaften hiemit auf das unbeweg¬
liche
Feſt des 4ten Maies invitiren, wo erſt Viktors
Ankunft und ſeines Pathgens Kirchgang anſtaͤndig
gefeiert wird.

Die Pfarrerin zog den umzingelten Geliebten
Nachmittags aus dem muſikaliſchen Zirkel ſo vieler
Toͤne und kaperte ihn ihrem Manne, deſſen Direktri¬
ce und Lady Maire ſie war, vor den Augen weg
und fuͤhrte ihn in ſein Zimmer, um da vor ihm al¬
lein ſich zu betruͤben, ſich zu erfreuen und ſich aus¬
zureden wie eine Mutter: lang eingeſchloſſene Seuf¬
zer und veraltete Thraͤnen drangen jetzt aus dem
geoͤfneten Mutterherzen in das fremde weiche uͤber,
das ja der beſte Freund ihres Sohnes war. Sie
klagte bei ihm uͤber Flamins Aufbrauſen, das Vik¬
tor ſonſt immer geſtillet; »uͤber ſeine Liebe zum Sol¬
»datenweſen, da er doch ein Gelehrter ſey« — und
endlich uͤber ſeine Geſellſchaft. »Er treibe ſich
»naͤmlich mit einem Hofjunker Matthieu — Sohn
»des Miniſters von Schleunes — herum, einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="63"/>
&#x017F;es Po&#x017F;ttags, die mir halb auf der Ach&#x017F;e halb zu<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er einlaufen, be&#x017F;agen, er&#x017F;tlich daß niemand Ap¬<lb/>
petit hatte &#x2014; die Freude nimmt ihn mehr als der<lb/>
Gram &#x2014; ausgenommen die drei Regimenter, die<lb/>
wie Veteranen, in den Feind einhieben, na&#x0364;mlich in<lb/>
den Tafel-Abhub; zweitens daß das Diner noch<lb/>
magerer war als der Ga&#x017F;t &#x017F;elber. Man will aber<lb/>
&#x017F;a&#x0364;mtliche Le&#x017F;ege&#x017F;ell&#x017F;chaften hiemit auf das <hi rendition="#g">unbeweg¬<lb/>
liche</hi> Fe&#x017F;t des 4ten Maies invitiren, wo er&#x017F;t Viktors<lb/>
Ankunft und &#x017F;eines Pathgens Kirchgang an&#x017F;ta&#x0364;ndig<lb/>
gefeiert wird.</p><lb/>
        <p>Die Pfarrerin zog den umzingelten Geliebten<lb/>
Nachmittags aus dem mu&#x017F;ikali&#x017F;chen Zirkel &#x017F;o vieler<lb/>
To&#x0364;ne und kaperte ihn ihrem Manne, de&#x017F;&#x017F;en Direktri¬<lb/>
ce und Lady Maire &#x017F;ie war, vor den Augen weg<lb/>
und fu&#x0364;hrte ihn in &#x017F;ein Zimmer, um da vor ihm al¬<lb/>
lein &#x017F;ich zu betru&#x0364;ben, &#x017F;ich zu erfreuen und &#x017F;ich aus¬<lb/>
zureden wie eine Mutter: lang einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Seuf¬<lb/>
zer und veraltete Thra&#x0364;nen drangen jetzt aus dem<lb/>
geo&#x0364;fneten Mutterherzen in das fremde weiche u&#x0364;ber,<lb/>
das ja der be&#x017F;te Freund ihres Sohnes war. Sie<lb/>
klagte bei ihm u&#x0364;ber Flamins Aufbrau&#x017F;en, das Vik¬<lb/>
tor &#x017F;on&#x017F;t immer ge&#x017F;tillet; »u&#x0364;ber &#x017F;eine Liebe zum Sol¬<lb/>
»datenwe&#x017F;en, da er doch ein Gelehrter &#x017F;ey« &#x2014; und<lb/>
endlich u&#x0364;ber &#x017F;eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. »Er treibe &#x017F;ich<lb/>
»na&#x0364;mlich mit einem Hofjunker Matthieu &#x2014; Sohn<lb/>
»des Mini&#x017F;ters von <hi rendition="#g">Schleunes</hi> &#x2014; herum, einem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0074] ſes Poſttags, die mir halb auf der Achſe halb zu Waſſer einlaufen, beſagen, erſtlich daß niemand Ap¬ petit hatte — die Freude nimmt ihn mehr als der Gram — ausgenommen die drei Regimenter, die wie Veteranen, in den Feind einhieben, naͤmlich in den Tafel-Abhub; zweitens daß das Diner noch magerer war als der Gaſt ſelber. Man will aber ſaͤmtliche Leſegeſellſchaften hiemit auf das unbeweg¬ liche Feſt des 4ten Maies invitiren, wo erſt Viktors Ankunft und ſeines Pathgens Kirchgang anſtaͤndig gefeiert wird. Die Pfarrerin zog den umzingelten Geliebten Nachmittags aus dem muſikaliſchen Zirkel ſo vieler Toͤne und kaperte ihn ihrem Manne, deſſen Direktri¬ ce und Lady Maire ſie war, vor den Augen weg und fuͤhrte ihn in ſein Zimmer, um da vor ihm al¬ lein ſich zu betruͤben, ſich zu erfreuen und ſich aus¬ zureden wie eine Mutter: lang eingeſchloſſene Seuf¬ zer und veraltete Thraͤnen drangen jetzt aus dem geoͤfneten Mutterherzen in das fremde weiche uͤber, das ja der beſte Freund ihres Sohnes war. Sie klagte bei ihm uͤber Flamins Aufbrauſen, das Vik¬ tor ſonſt immer geſtillet; »uͤber ſeine Liebe zum Sol¬ »datenweſen, da er doch ein Gelehrter ſey« — und endlich uͤber ſeine Geſellſchaft. »Er treibe ſich »naͤmlich mit einem Hofjunker Matthieu — Sohn »des Miniſters von Schleunes — herum, einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/74
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/74>, abgerufen am 21.12.2024.