gen die ausglimmenden Fenster der Abtei zu, die sich am südlichen Berge, wovon er hereingestiegen war, in die Höhe richtete. Denn der Blinde hatte ihm gesagt, daß dieser Berg Emanuels Sternwarte sey und daß er jede Nacht dahinkomme. Die grüne Treppe, die mit Terrassen und Moosbänken absetzte und an der ein Treppengeländer von Buschwerk hin¬ aufwuchs, führte ihn einem Berge zu, der sich erha¬ ben im Aether mit Einer hohen Trauerbirke schloß. Mit jedem Rasenplatz hoben sich wie aus einem Bade neue Glieder der dunkeln Natur heraus -- er zog gleichsam von einem Planeten in den andern -- über das aufsteigende verhüllte Gefilde strömte der Nachtwind und zog einsam von Wald zu Wald und spielte kräuselnd am Gefieder des schlafenden Vogels und des schwirrenden Nachtschmetterlings -- Viktor sah hinüber zur Abendröthe, die die Nacht wie eine Vorsteckrose vor den Busen, an dem die Sonnen liegen, vorgenommen hatte -- Das Meer der Ewigkeit stand in Gestalt der Nacht auf dem Silbersand der Welten und Sonnen und aus dem Meeresgrund blinkten die Sandkörner tief herauf --
Um die Trauerbirke nahm ein unbekanntes melo¬ disches Tönen zu, das er schon heute auf der Insel gehört: endlich stand er oben unter der Birke und das Tönen wie das einer Harmonika, das erst über Paradiese und durch Blumenhecken geflossen ist, war
gen die ausglimmenden Fenſter der Abtei zu, die ſich am ſuͤdlichen Berge, wovon er hereingeſtiegen war, in die Hoͤhe richtete. Denn der Blinde hatte ihm geſagt, daß dieſer Berg Emanuels Sternwarte ſey und daß er jede Nacht dahinkomme. Die gruͤne Treppe, die mit Terraſſen und Moosbaͤnken abſetzte und an der ein Treppengelaͤnder von Buſchwerk hin¬ aufwuchs, fuͤhrte ihn einem Berge zu, der ſich erha¬ ben im Aether mit Einer hohen Trauerbirke ſchloß. Mit jedem Raſenplatz hoben ſich wie aus einem Bade neue Glieder der dunkeln Natur heraus — er zog gleichſam von einem Planeten in den andern — uͤber das aufſteigende verhuͤllte Gefilde ſtroͤmte der Nachtwind und zog einſam von Wald zu Wald und ſpielte kraͤuſelnd am Gefieder des ſchlafenden Vogels und des ſchwirrenden Nachtſchmetterlings — Viktor ſah hinuͤber zur Abendroͤthe, die die Nacht wie eine Vorſteckroſe vor den Buſen, an dem die Sonnen liegen, vorgenommen hatte — Das Meer der Ewigkeit ſtand in Geſtalt der Nacht auf dem Silberſand der Welten und Sonnen und aus dem Meeresgrund blinkten die Sandkoͤrner tief herauf —
Um die Trauerbirke nahm ein unbekanntes melo¬ diſches Toͤnen zu, das er ſchon heute auf der Inſel gehoͤrt: endlich ſtand er oben unter der Birke und das Toͤnen wie das einer Harmonika, das erſt uͤber Paradieſe und durch Blumenhecken gefloſſen iſt, war
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gen die ausglimmenden Fenſter der Abtei zu, die
ſich am ſuͤdlichen Berge, wovon er hereingeſtiegen
war, in die Hoͤhe richtete. Denn der Blinde hatte
ihm geſagt, daß dieſer Berg Emanuels Sternwarte
ſey und daß er jede Nacht dahinkomme. Die gruͤne
Treppe, die mit Terraſſen und Moosbaͤnken abſetzte
und an der ein Treppengelaͤnder von Buſchwerk hin¬
aufwuchs, fuͤhrte ihn einem Berge zu, der ſich erha¬
ben im Aether mit Einer hohen Trauerbirke ſchloß.
Mit jedem Raſenplatz hoben ſich wie aus einem
Bade neue Glieder der dunkeln Natur heraus — er
zog gleichſam von einem Planeten in den andern
— uͤber das aufſteigende verhuͤllte Gefilde ſtroͤmte
der Nachtwind und zog einſam von Wald zu Wald
und ſpielte kraͤuſelnd am Gefieder des ſchlafenden
Vogels und des ſchwirrenden Nachtſchmetterlings —
Viktor ſah hinuͤber zur Abendroͤthe, die die Nacht
wie eine Vorſteckroſe vor den Buſen, an dem die
Sonnen liegen, vorgenommen hatte — Das Meer
der Ewigkeit ſtand in Geſtalt der Nacht auf dem
Silberſand der Welten und Sonnen und aus dem
Meeresgrund blinkten die Sandkoͤrner tief herauf —
Um die Trauerbirke nahm ein unbekanntes melo¬
diſches Toͤnen zu, das er ſchon heute auf der Inſel
gehoͤrt: endlich ſtand er oben unter der Birke und
das Toͤnen wie das einer Harmonika, das erſt uͤber
Paradieſe und durch Blumenhecken gefloſſen iſt, war
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/327>, abgerufen am 25.11.2024.
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