Ach armer Lord! wiederholte unaufhörlich sein Sohn, der jetzt nach Maienthal mit einer gepresten Seele ging. Außen um ihn war der Himmel still; ein großes Gewölk überdeckte ihn ganz, aber es stand ringsum auf einen blauen Saum am Horizont. Hin¬ gegen in Viktors Brust zogen Luftströme gegen ein¬ ander und wirbelten sich zu einer Landhose zusam¬ men, die Bäche auftrinkt und Bäume aufzieht -- Sein Vater hing bleich in diesem Sturm -- Vik¬ kors künftigen Tage murden hin und her geschleu¬ dert -- Sein künftiges Leben drängte sich in ein en¬ ges überflortes Bild zusammen und machte ihn eben so ängstlich darüber, daß er es leben müßte als wie er es müßte.
Am wehesten that ihm gerade die finnliche Klei¬ nigkeit, daß sein Vater noch allein und verhüllt in der Insel geblieben war. -- Einmal fiel ihn die Vermuthung an, ob nicht das meißte nur dramati¬ sche Maschinerie gewesen sey, die sein Vater (der in der Jugend ein Tragödiendichter gewesen) gebraucht habe, um seinem Gelübde der Verschwiegenheit mehr Festigkeit zn geben -- aber sogleich ekelte ihn sei¬ nes eignes Herzens. Warum sind die reinsten Seelen mit einer Menge ekelhafter, giftiger Gedanken ge¬ quält, die wie Spinnen an den glänzenden Wänden hinaufkriechen und die sie nur die Mühe todtzudrük¬
U 2
Ach armer Lord! wiederholte unaufhoͤrlich ſein Sohn, der jetzt nach Maienthal mit einer gepreſten Seele ging. Außen um ihn war der Himmel ſtill; ein großes Gewoͤlk uͤberdeckte ihn ganz, aber es ſtand ringsum auf einen blauen Saum am Horizont. Hin¬ gegen in Viktors Bruſt zogen Luftſtroͤme gegen ein¬ ander und wirbelten ſich zu einer Landhoſe zuſam¬ men, die Baͤche auftrinkt und Baͤume aufzieht — Sein Vater hing bleich in dieſem Sturm — Vik¬ kors kuͤnftigen Tage murden hin und her geſchleu¬ dert — Sein kuͤnftiges Leben draͤngte ſich in ein en¬ ges uͤberflortes Bild zuſammen und machte ihn eben ſo aͤngſtlich daruͤber, daß er es leben muͤßte als wie er es muͤßte.
Am weheſten that ihm gerade die finnliche Klei¬ nigkeit, daß ſein Vater noch allein und verhuͤllt in der Inſel geblieben war. — Einmal fiel ihn die Vermuthung an, ob nicht das meißte nur dramati¬ ſche Maſchinerie geweſen ſey, die ſein Vater (der in der Jugend ein Tragoͤdiendichter geweſen) gebraucht habe, um ſeinem Geluͤbde der Verſchwiegenheit mehr Feſtigkeit zn geben — aber ſogleich ekelte ihn ſei¬ nes eignes Herzens. Warum ſind die reinſten Seelen mit einer Menge ekelhafter, giftiger Gedanken ge¬ quaͤlt, die wie Spinnen an den glaͤnzenden Waͤnden hinaufkriechen und die ſie nur die Muͤhe todtzudruͤk¬
U 2
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0318"n="307"/><p>Ach armer Lord! wiederholte unaufhoͤrlich ſein<lb/>
Sohn, der jetzt nach Maienthal mit einer gepreſten<lb/>
Seele ging. Außen um ihn war der Himmel ſtill;<lb/>
ein großes Gewoͤlk uͤberdeckte ihn ganz, aber es ſtand<lb/>
ringsum auf einen blauen Saum am Horizont. Hin¬<lb/>
gegen in Viktors Bruſt zogen Luftſtroͤme gegen ein¬<lb/>
ander und wirbelten ſich zu einer Landhoſe zuſam¬<lb/>
men, die Baͤche auftrinkt und Baͤume aufzieht —<lb/>
Sein Vater hing bleich in dieſem Sturm — Vik¬<lb/>
kors kuͤnftigen Tage murden hin und her geſchleu¬<lb/>
dert — Sein kuͤnftiges Leben draͤngte ſich in ein en¬<lb/>
ges uͤberflortes Bild zuſammen und machte ihn eben<lb/>ſo aͤngſtlich daruͤber, <hirendition="#g">daß</hi> er es leben muͤßte als wie<lb/>
er es muͤßte.</p><lb/><p>Am weheſten that ihm gerade die finnliche Klei¬<lb/>
nigkeit, daß ſein Vater noch allein und verhuͤllt in<lb/>
der Inſel geblieben war. — Einmal fiel ihn die<lb/>
Vermuthung an, ob nicht das meißte nur dramati¬<lb/>ſche Maſchinerie geweſen ſey, die ſein Vater (der in<lb/>
der Jugend ein Tragoͤdiendichter geweſen) gebraucht<lb/>
habe, um ſeinem Geluͤbde der Verſchwiegenheit mehr<lb/>
Feſtigkeit zn geben — aber ſogleich ekelte ihn ſei¬<lb/>
nes eignes Herzens. Warum ſind die reinſten Seelen<lb/>
mit einer Menge ekelhafter, giftiger Gedanken ge¬<lb/>
quaͤlt, die wie Spinnen an den glaͤnzenden Waͤnden<lb/>
hinaufkriechen und die ſie nur die Muͤhe todtzudruͤk¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">U 2<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[307/0318]
Ach armer Lord! wiederholte unaufhoͤrlich ſein
Sohn, der jetzt nach Maienthal mit einer gepreſten
Seele ging. Außen um ihn war der Himmel ſtill;
ein großes Gewoͤlk uͤberdeckte ihn ganz, aber es ſtand
ringsum auf einen blauen Saum am Horizont. Hin¬
gegen in Viktors Bruſt zogen Luftſtroͤme gegen ein¬
ander und wirbelten ſich zu einer Landhoſe zuſam¬
men, die Baͤche auftrinkt und Baͤume aufzieht —
Sein Vater hing bleich in dieſem Sturm — Vik¬
kors kuͤnftigen Tage murden hin und her geſchleu¬
dert — Sein kuͤnftiges Leben draͤngte ſich in ein en¬
ges uͤberflortes Bild zuſammen und machte ihn eben
ſo aͤngſtlich daruͤber, daß er es leben muͤßte als wie
er es muͤßte.
Am weheſten that ihm gerade die finnliche Klei¬
nigkeit, daß ſein Vater noch allein und verhuͤllt in
der Inſel geblieben war. — Einmal fiel ihn die
Vermuthung an, ob nicht das meißte nur dramati¬
ſche Maſchinerie geweſen ſey, die ſein Vater (der in
der Jugend ein Tragoͤdiendichter geweſen) gebraucht
habe, um ſeinem Geluͤbde der Verſchwiegenheit mehr
Feſtigkeit zn geben — aber ſogleich ekelte ihn ſei¬
nes eignes Herzens. Warum ſind die reinſten Seelen
mit einer Menge ekelhafter, giftiger Gedanken ge¬
quaͤlt, die wie Spinnen an den glaͤnzenden Waͤnden
hinaufkriechen und die ſie nur die Muͤhe todtzudruͤk¬
U 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/318>, abgerufen am 10.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.