Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

ken haben? Ach unsre Kriege unterscheiden sich
nicht ganz von unsern Niederlagen!

Es ist sonderbar, daß er den perspektivischen
Gedanken an Klotildens Blutsverwandschaft mit
Flamin am wenigsten verfolgte. --

Wenn der Mensch von der Vernunft keine balsa¬
mischen Mittel erlangen kann: so fleht er die Hof¬
nung und die Täuschung darum an; und beide zer¬
theilen dann gern den Schmerz. So wie heute
nach und nach am Himmel durch lichte Fugen das
Blaue durchriß, und wie das Nebelmeer zu hängen¬
den Seen einlief: so gingen auch in Viktors Seele
die dunkeln Gedanken auseinander -- Und als die
geschwollnen Wolkenklumpen im weiten Blau zu
Flocken eingingen, bis endlich das blaue Meer alle
Nebelbänke verschlang und nichts auf seiner unendli¬
chen Fläche trug als die herunterlodernde Sonne: so
reinigte sich auch Viktors Seele von Dünsten und
das Sonnenbild Emanuels; den er heute erreichen
sollte, schien sanft und warm und wolkenlos in alle
seine Wunden. .. Die Gestalt seines geliebten Da¬
hore -- die Gestalt seines geliebten Vaters -- die
Gestalt seiner verhüllten Mutter und alle geliebten
Bilder ruhten wie Monde in einer wehmüthigen
Gruppe über ihn und diese Wehmuth und der hei¬
lige Schwur, tugendhaft zu bleiben und allen Wün¬
schen seines Vaters zu gehorchen, wehten seiner ent¬

ken haben? Ach unſre Kriege unterſcheiden ſich
nicht ganz von unſern Niederlagen!

Es iſt ſonderbar, daß er den perſpektiviſchen
Gedanken an Klotildens Blutsverwandſchaft mit
Flamin am wenigſten verfolgte. —

Wenn der Menſch von der Vernunft keine balſa¬
miſchen Mittel erlangen kann: ſo fleht er die Hof¬
nung und die Taͤuſchung darum an; und beide zer¬
theilen dann gern den Schmerz. So wie heute
nach und nach am Himmel durch lichte Fugen das
Blaue durchriß, und wie das Nebelmeer zu haͤngen¬
den Seen einlief: ſo gingen auch in Viktors Seele
die dunkeln Gedanken auseinander — Und als die
geſchwollnen Wolkenklumpen im weiten Blau zu
Flocken eingingen, bis endlich das blaue Meer alle
Nebelbaͤnke verſchlang und nichts auf ſeiner unendli¬
chen Flaͤche trug als die herunterlodernde Sonne: ſo
reinigte ſich auch Viktors Seele von Duͤnſten und
das Sonnenbild Emanuels; den er heute erreichen
ſollte, ſchien ſanft und warm und wolkenlos in alle
ſeine Wunden. .. Die Geſtalt ſeines geliebten Da¬
hore — die Geſtalt ſeines geliebten Vaters — die
Geſtalt ſeiner verhuͤllten Mutter und alle geliebten
Bilder ruhten wie Monde in einer wehmuͤthigen
Gruppe uͤber ihn und dieſe Wehmuth und der hei¬
lige Schwur, tugendhaft zu bleiben und allen Wuͤn¬
ſchen ſeines Vaters zu gehorchen, wehten ſeiner ent¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0319" n="308"/>
ken haben? Ach un&#x017F;re <hi rendition="#g">Kriege</hi> unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich<lb/>
nicht ganz von un&#x017F;ern <hi rendition="#g">Niederlagen</hi>!</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t &#x017F;onderbar, daß er den <hi rendition="#g">per&#x017F;pektivi&#x017F;chen</hi><lb/>
Gedanken an Klotildens Blutsverwand&#x017F;chaft mit<lb/>
Flamin am wenig&#x017F;ten verfolgte. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wenn der Men&#x017F;ch von der Vernunft keine bal&#x017F;<lb/>
mi&#x017F;chen Mittel erlangen kann: &#x017F;o fleht er die Hof¬<lb/>
nung und die Ta&#x0364;u&#x017F;chung darum an; und beide zer¬<lb/>
theilen dann gern den Schmerz. So wie heute<lb/>
nach und nach am Himmel durch lichte Fugen das<lb/>
Blaue durchriß, und wie das Nebelmeer zu ha&#x0364;ngen¬<lb/>
den Seen einlief: &#x017F;o gingen auch in Viktors Seele<lb/>
die dunkeln Gedanken auseinander &#x2014; Und als die<lb/>
ge&#x017F;chwollnen Wolkenklumpen im weiten Blau zu<lb/>
Flocken eingingen, bis endlich das blaue Meer alle<lb/>
Nebelba&#x0364;nke ver&#x017F;chlang und nichts auf &#x017F;einer unendli¬<lb/>
chen Fla&#x0364;che trug als die herunterlodernde Sonne: &#x017F;o<lb/>
reinigte &#x017F;ich auch Viktors Seele von Du&#x0364;n&#x017F;ten und<lb/>
das Sonnenbild Emanuels; den er heute erreichen<lb/>
&#x017F;ollte, &#x017F;chien &#x017F;anft und warm und wolkenlos in alle<lb/>
&#x017F;eine Wunden. .. Die Ge&#x017F;talt &#x017F;eines geliebten Da¬<lb/>
hore &#x2014; die Ge&#x017F;talt &#x017F;eines geliebten Vaters &#x2014; die<lb/>
Ge&#x017F;talt &#x017F;einer verhu&#x0364;llten Mutter und alle geliebten<lb/>
Bilder ruhten wie Monde in einer wehmu&#x0364;thigen<lb/>
Gruppe u&#x0364;ber ihn und die&#x017F;e Wehmuth und der hei¬<lb/>
lige Schwur, tugendhaft zu bleiben und allen Wu&#x0364;<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;eines Vaters zu gehorchen, wehten &#x017F;einer ent¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0319] ken haben? Ach unſre Kriege unterſcheiden ſich nicht ganz von unſern Niederlagen! Es iſt ſonderbar, daß er den perſpektiviſchen Gedanken an Klotildens Blutsverwandſchaft mit Flamin am wenigſten verfolgte. — Wenn der Menſch von der Vernunft keine balſa¬ miſchen Mittel erlangen kann: ſo fleht er die Hof¬ nung und die Taͤuſchung darum an; und beide zer¬ theilen dann gern den Schmerz. So wie heute nach und nach am Himmel durch lichte Fugen das Blaue durchriß, und wie das Nebelmeer zu haͤngen¬ den Seen einlief: ſo gingen auch in Viktors Seele die dunkeln Gedanken auseinander — Und als die geſchwollnen Wolkenklumpen im weiten Blau zu Flocken eingingen, bis endlich das blaue Meer alle Nebelbaͤnke verſchlang und nichts auf ſeiner unendli¬ chen Flaͤche trug als die herunterlodernde Sonne: ſo reinigte ſich auch Viktors Seele von Duͤnſten und das Sonnenbild Emanuels; den er heute erreichen ſollte, ſchien ſanft und warm und wolkenlos in alle ſeine Wunden. .. Die Geſtalt ſeines geliebten Da¬ hore — die Geſtalt ſeines geliebten Vaters — die Geſtalt ſeiner verhuͤllten Mutter und alle geliebten Bilder ruhten wie Monde in einer wehmuͤthigen Gruppe uͤber ihn und dieſe Wehmuth und der hei¬ lige Schwur, tugendhaft zu bleiben und allen Wuͤn¬ ſchen ſeines Vaters zu gehorchen, wehten ſeiner ent¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/319
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/319>, abgerufen am 24.11.2024.