Ach du dauerst mich! denn die Wunden, die aufgedeckt werden können, sind nicht tief; der Schmerz, den ein menschenfreundliches Auge finden, eine weiche Hand lindern kann, ist nur klein -- Aber der Gram, den der Freund nicht sehen darf, weil er ihn nicht nehmen kann, dieser Gram, der zuweilen ins beglückte Auge in Gestalt eines plötzli¬ chen Tropfens aufsteigt, den das weggewandte Ange¬ sicht vertilgt, hängt überdeckt schwerer und schwerer am Herzen und zieht es endlich loß und fällt mit ihm unter die heilende Erde hinab: so werden die Eisenkugeln an den über dem Meer Gestorbnen an¬ geknüpft und sie sinken mit ihm schneller in sein großes Grad. -- --
Er fuhr fort: "ich werde dir etwas sagen; aber "schwöre hier auf dieser theuern Asche, zu schweigen. "Es betrift deinen Flamin und diesem mußt du es "verhehlen." Das fiel dem von einer Welle auf die andre gestürzten Viktor auf. Er erinnerte sich, daß ihm Flamin das Versprechen auf der Warte ab¬ gedrungen, daß sie mit einander, wenn sie sich zu sehr beleidigt hätten, sterben wollten. Er stand mit dem Schwur an -- endlich sagt' er "aber kurz vor "meinem Tode darf ichs ihm sagen?" -- Kannst du ihn wissen sagte sein Vater. -- "Aber im Fall?" -- Dann! sagte jener kalt. --
Hesperus. I. Th. T
Ach du dauerſt mich! denn die Wunden, die aufgedeckt werden koͤnnen, ſind nicht tief; der Schmerz, den ein menſchenfreundliches Auge finden, eine weiche Hand lindern kann, iſt nur klein — Aber der Gram, den der Freund nicht ſehen darf, weil er ihn nicht nehmen kann, dieſer Gram, der zuweilen ins begluͤckte Auge in Geſtalt eines ploͤtzli¬ chen Tropfens aufſteigt, den das weggewandte Ange¬ ſicht vertilgt, haͤngt uͤberdeckt ſchwerer und ſchwerer am Herzen und zieht es endlich loß und faͤllt mit ihm unter die heilende Erde hinab: ſo werden die Eiſenkugeln an den uͤber dem Meer Geſtorbnen an¬ geknuͤpft und ſie ſinken mit ihm ſchneller in ſein großes Grad. — —
Er fuhr fort: »ich werde dir etwas ſagen; aber »ſchwoͤre hier auf dieſer theuern Aſche, zu ſchweigen. »Es betrift deinen Flamin und dieſem mußt du es »verhehlen.« Das fiel dem von einer Welle auf die andre geſtuͤrzten Viktor auf. Er erinnerte ſich, daß ihm Flamin das Verſprechen auf der Warte ab¬ gedrungen, daß ſie mit einander, wenn ſie ſich zu ſehr beleidigt haͤtten, ſterben wollten. Er ſtand mit dem Schwur an — endlich ſagt' er »aber kurz vor »meinem Tode darf ichs ihm ſagen?« — Kannſt du ihn wiſſen ſagte ſein Vater. — »Aber im Fall?« — Dann! ſagte jener kalt. —
Heſperus. I. Th. T
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Ach du dauerſt mich! denn die Wunden, die
aufgedeckt werden koͤnnen, ſind nicht tief; der
Schmerz, den ein menſchenfreundliches Auge finden,
eine weiche Hand lindern kann, iſt nur klein —
Aber der Gram, den der Freund nicht ſehen darf,
weil er ihn nicht nehmen kann, dieſer Gram, der
zuweilen ins begluͤckte Auge in Geſtalt eines ploͤtzli¬
chen Tropfens aufſteigt, den das weggewandte Ange¬
ſicht vertilgt, haͤngt uͤberdeckt ſchwerer und ſchwerer
am Herzen und zieht es endlich loß und faͤllt mit
ihm unter die heilende Erde hinab: ſo werden die
Eiſenkugeln an den uͤber dem Meer Geſtorbnen an¬
geknuͤpft und ſie ſinken mit ihm ſchneller in ſein
großes Grad. — —
Er fuhr fort: »ich werde dir etwas ſagen; aber
»ſchwoͤre hier auf dieſer theuern Aſche, zu ſchweigen.
»Es betrift deinen Flamin und dieſem mußt du es
»verhehlen.« Das fiel dem von einer Welle auf
die andre geſtuͤrzten Viktor auf. Er erinnerte ſich,
daß ihm Flamin das Verſprechen auf der Warte ab¬
gedrungen, daß ſie mit einander, wenn ſie ſich zu
ſehr beleidigt haͤtten, ſterben wollten. Er ſtand mit
dem Schwur an — endlich ſagt' er »aber kurz vor
»meinem Tode darf ichs ihm ſagen?« — Kannſt du
ihn wiſſen ſagte ſein Vater. — »Aber im Fall?«
— Dann! ſagte jener kalt. —
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/300>, abgerufen am 23.11.2024.
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