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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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Kulisse noch in eine Loge des wirklichen Lebens ge¬
hen wollte -- Viktor aber salarirte zwischen seinen
Beinwänden des Kopfes ein komisches Theater
der Deutschen, blos um die wirklichen Menschen
nicht auszulachen: seine Laune war so idealisch wie
die Tugend und Empfindsamkeit andrer Leute. In
dieser Laune hielt er (wie ein Bauchredner) lauter
innerliche Reden an alle Potentaten -- er stellte sich
auf die Ritterbank mit Kirchenvisitationsreden --
auf die Städtebank mit Leichenreden -- auf dem päbst¬
lichen Stuhl hielt er an die Jungfer Europa und
kirchliche Braut Strohkranzreden -- die Potenta¬
ten musten ihm alle wieder antworten -- man kann
denken wie, da er gleich einem Minister, ihnen
aus seinem Kopf-Soufleurloch, alles in den Mund
legte -- und dann gieng er doch fort und lachte je¬
den aus.

Mandeville sagt in seinen Reisen, am Nordpol
gefriere im Winterhalbjahr jedes Wort, aber im
Sommerhalbjahre thau' es wieder auf und werde
gehört. Diese Nachricht malte sich Viktor auf dem
Wege nach der Insel aus: wir wollen unsere Ohren
an seinen Kopf legen und dem innern Gesumse zu¬
horchen.

"Ich und Mandeville sind gar nicht verbunden
"es zu erklären, warum am Nordpol die Worte so
gut wie Speichel unter dem Fallen zu Eis werden

Kuliſſe noch in eine Loge des wirklichen Lebens ge¬
hen wollte — Viktor aber ſalarirte zwiſchen ſeinen
Beinwaͤnden des Kopfes ein komiſches Theater
der Deutſchen, blos um die wirklichen Menſchen
nicht auszulachen: ſeine Laune war ſo idealiſch wie
die Tugend und Empfindſamkeit andrer Leute. In
dieſer Laune hielt er (wie ein Bauchredner) lauter
innerliche Reden an alle Potentaten — er ſtellte ſich
auf die Ritterbank mit Kirchenviſitationsreden —
auf die Staͤdtebank mit Leichenreden — auf dem paͤbſt¬
lichen Stuhl hielt er an die Jungfer Europa und
kirchliche Braut Strohkranzreden — die Potenta¬
ten muſten ihm alle wieder antworten — man kann
denken wie, da er gleich einem Miniſter, ihnen
aus ſeinem Kopf-Soufleurloch, alles in den Mund
legte — und dann gieng er doch fort und lachte je¬
den aus.

Mandeville ſagt in ſeinen Reiſen, am Nordpol
gefriere im Winterhalbjahr jedes Wort, aber im
Sommerhalbjahre thau' es wieder auf und werde
gehoͤrt. Dieſe Nachricht malte ſich Viktor auf dem
Wege nach der Inſel aus: wir wollen unſere Ohren
an ſeinen Kopf legen und dem innern Geſumſe zu¬
horchen.

»Ich und Mandeville ſind gar nicht verbunden
»es zu erklaͤren, warum am Nordpol die Worte ſo
gut wie Speichel unter dem Fallen zu Eis werden

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[279/0290] Kuliſſe noch in eine Loge des wirklichen Lebens ge¬ hen wollte — Viktor aber ſalarirte zwiſchen ſeinen Beinwaͤnden des Kopfes ein komiſches Theater der Deutſchen, blos um die wirklichen Menſchen nicht auszulachen: ſeine Laune war ſo idealiſch wie die Tugend und Empfindſamkeit andrer Leute. In dieſer Laune hielt er (wie ein Bauchredner) lauter innerliche Reden an alle Potentaten — er ſtellte ſich auf die Ritterbank mit Kirchenviſitationsreden — auf die Staͤdtebank mit Leichenreden — auf dem paͤbſt¬ lichen Stuhl hielt er an die Jungfer Europa und kirchliche Braut Strohkranzreden — die Potenta¬ ten muſten ihm alle wieder antworten — man kann denken wie, da er gleich einem Miniſter, ihnen aus ſeinem Kopf-Soufleurloch, alles in den Mund legte — und dann gieng er doch fort und lachte je¬ den aus. Mandeville ſagt in ſeinen Reiſen, am Nordpol gefriere im Winterhalbjahr jedes Wort, aber im Sommerhalbjahre thau' es wieder auf und werde gehoͤrt. Dieſe Nachricht malte ſich Viktor auf dem Wege nach der Inſel aus: wir wollen unſere Ohren an ſeinen Kopf legen und dem innern Geſumſe zu¬ horchen. »Ich und Mandeville ſind gar nicht verbunden »es zu erklaͤren, warum am Nordpol die Worte ſo gut wie Speichel unter dem Fallen zu Eis werden

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/290>, abgerufen am 25.11.2024.