hauptete: wußt' er nicht schon, daß der Bienenvater drei Pfarrer und fünf Amtmänner in Kusseviz zu Grabe begleitet -- daß er die erste Hochzeit mit sei¬ ner Mutter (so hieß er die Frau) im Alter gemacht, in das sonst die Silberhochzeit fällt -- daß sein Kopf noch das Gedächtniß und die Haare habe -- daß er unter den Sargdeckel schwarze Augenbraunen zu bringen gedenke -- daß er, Lind, ganz und gar nicht, wie etwa der alte Gobel und selber der Vogt Stenz in der Kirche der Augen wegen die Position neben dem Kirchenfenster zu nehmen brau¬ che, sondern seinen Vers überall lesen könne und daß er jährlich nach Maienthal in die Kirche ein¬ mal gehe und ein Kopfstück in den kanonischen Bil¬ lardsack stoße, weil der Kirchhof da alle seine Ver¬ wandten väterlicher Seits bedecke?
Ach diese Zufriedenheit mit den Abendwolken des Lebens erquickt den hypochondrischen Zuhörer und Zuschauer, dessen melancholischer Saitenbezug so leicht in eines alten Menschen Gegenwart gleich einem Todesanzeigen zu zittern anfängt; und ein feuriger Greis scheint uns ein unsterbliches, gegen die Todessense verhärtetes Wesen und ein in die zweite Welt wegweisender Arm! -- Viktor besonders sah, mit schweren Gedanken, in einem alten Men¬ schen eine organisirte Vergangenheit, gebückte verkör¬ perte Jahre, den Gipsabdruck seiner eignen Mumie
hauptete: wußt' er nicht ſchon, daß der Bienenvater drei Pfarrer und fuͤnf Amtmaͤnner in Kuſſeviz zu Grabe begleitet — daß er die erſte Hochzeit mit ſei¬ ner Mutter (ſo hieß er die Frau) im Alter gemacht, in das ſonſt die Silberhochzeit faͤllt — daß ſein Kopf noch das Gedaͤchtniß und die Haare habe — daß er unter den Sargdeckel ſchwarze Augenbraunen zu bringen gedenke — daß er, Lind, ganz und gar nicht, wie etwa der alte Gobel und ſelber der Vogt Stenz in der Kirche der Augen wegen die Poſition neben dem Kirchenfenſter zu nehmen brau¬ che, ſondern ſeinen Vers uͤberall leſen koͤnne und daß er jaͤhrlich nach Maienthal in die Kirche ein¬ mal gehe und ein Kopfſtuͤck in den kanoniſchen Bil¬ lardſack ſtoße, weil der Kirchhof da alle ſeine Ver¬ wandten vaͤterlicher Seits bedecke?
Ach dieſe Zufriedenheit mit den Abendwolken des Lebens erquickt den hypochondriſchen Zuhoͤrer und Zuſchauer, deſſen melancholiſcher Saitenbezug ſo leicht in eines alten Menſchen Gegenwart gleich einem Todesanzeigen zu zittern anfaͤngt; und ein feuriger Greis ſcheint uns ein unſterbliches, gegen die Todesſenſe verhaͤrtetes Weſen und ein in die zweite Welt wegweiſender Arm! — Viktor beſonders ſah, mit ſchweren Gedanken, in einem alten Men¬ ſchen eine organiſirte Vergangenheit, gebuͤckte verkoͤr¬ perte Jahre, den Gipsabdruck ſeiner eignen Mumie
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hauptete: wußt' er nicht ſchon, daß der Bienenvater
drei Pfarrer und fuͤnf Amtmaͤnner in Kuſſeviz zu
Grabe begleitet — daß er die erſte Hochzeit mit ſei¬
ner Mutter (ſo hieß er die Frau) im Alter gemacht,
in das ſonſt die Silberhochzeit faͤllt — daß ſein
Kopf noch das Gedaͤchtniß und die Haare habe —
daß er unter den Sargdeckel ſchwarze Augenbraunen
zu bringen gedenke — daß er, Lind, ganz und gar
nicht, wie etwa der alte Gobel und ſelber der
Vogt Stenz in der Kirche der Augen wegen die
Poſition neben dem Kirchenfenſter zu nehmen brau¬
che, ſondern ſeinen Vers uͤberall leſen koͤnne und
daß er jaͤhrlich nach Maienthal in die Kirche ein¬
mal gehe und ein Kopfſtuͤck in den kanoniſchen Bil¬
lardſack ſtoße, weil der Kirchhof da alle ſeine Ver¬
wandten vaͤterlicher Seits bedecke?
Ach dieſe Zufriedenheit mit den Abendwolken
des Lebens erquickt den hypochondriſchen Zuhoͤrer
und Zuſchauer, deſſen melancholiſcher Saitenbezug
ſo leicht in eines alten Menſchen Gegenwart gleich
einem Todesanzeigen zu zittern anfaͤngt; und ein
feuriger Greis ſcheint uns ein unſterbliches, gegen
die Todesſenſe verhaͤrtetes Weſen und ein in die
zweite Welt wegweiſender Arm! — Viktor beſonders
ſah, mit ſchweren Gedanken, in einem alten Men¬
ſchen eine organiſirte Vergangenheit, gebuͤckte verkoͤr¬
perte Jahre, den Gipsabdruck ſeiner eignen Mumie
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/246>, abgerufen am 23.11.2024.
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