Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

löcherigten Säcken voll Tannenzapfen befrachtet; die
das arme Gespann zu einem hektischen Feuer zusam¬
menfuhr. Beide vertauschten häufig ihre Chargen,
um es auszudauern; und der Fuhrmann wollte im¬
merfort sogleich wieder der Gaul werden. "Ihr gu¬
"ten Kinder! kann denn nicht euer Vater schieben?"
-- "Der Baum hat ihm die zwei Beine entzwei ge¬
"schlagen." -- "So könnte doch Euer großer Bru¬
"der in den Wald?" -- "Er muß dort brachen"
-- Viktor stand am Brachacker neben einem Wams
mit eben so viel Farben als Löchern und neben ei¬
nem schmutzigen Brodsack, welches sämtlich dem Bru¬
der angehörte, der in der Ferne mit einem halben
Postzug magerer Kühe auf dem Theater dieser Szene
ackerte. -- -- Eine volle Hand, die sich in den
Schoos des Elends ausleerte, machte Viktors schwe¬
re Seele leichter wie das volle Auge, das sich jener
nach ergoß: sein Gewissen, nicht sein Eigennutz, war
sein Opponent gegen die Größe seiner Gabe -- er
gab sie doch, aber in kleinen Münzsorten -- die
Kinder verließen ihre Kaufmannsgüter und das eine
lief über das Feld hinüber zum Pfluge und das an¬
dre ins Dörfgen hinab zur Mutter. -- Der Ackers¬
mann zog in der Ferne den Hut ab -- wollte laut
danken, konnte sich aber nur schneuzen -- ackerte
ohne Hut heran -- aber erst als er dem Jüngling

loͤcherigten Saͤcken voll Tannenzapfen befrachtet; die
das arme Geſpann zu einem hektiſchen Feuer zuſam¬
menfuhr. Beide vertauſchten haͤufig ihre Chargen,
um es auszudauern; und der Fuhrmann wollte im¬
merfort ſogleich wieder der Gaul werden. »Ihr gu¬
»ten Kinder! kann denn nicht euer Vater ſchieben?«
— »Der Baum hat ihm die zwei Beine entzwei ge¬
»ſchlagen.« — »So koͤnnte doch Euer großer Bru¬
«der in den Wald?« — »Er muß dort brachen«
— Viktor ſtand am Brachacker neben einem Wams
mit eben ſo viel Farben als Loͤchern und neben ei¬
nem ſchmutzigen Brodſack, welches ſaͤmtlich dem Bru¬
der angehoͤrte, der in der Ferne mit einem halben
Poſtzug magerer Kuͤhe auf dem Theater dieſer Szene
ackerte. — — Eine volle Hand, die ſich in den
Schoos des Elends ausleerte, machte Viktors ſchwe¬
re Seele leichter wie das volle Auge, das ſich jener
nach ergoß: ſein Gewiſſen, nicht ſein Eigennutz, war
ſein Opponent gegen die Groͤße ſeiner Gabe — er
gab ſie doch, aber in kleinen Muͤnzſorten — die
Kinder verließen ihre Kaufmannsguͤter und das eine
lief uͤber das Feld hinuͤber zum Pfluge und das an¬
dre ins Doͤrfgen hinab zur Mutter. — Der Ackers¬
mann zog in der Ferne den Hut ab — wollte laut
danken, konnte ſich aber nur ſchneuzen — ackerte
ohne Hut heran — aber erſt als er dem Juͤngling

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0231" n="220"/>
lo&#x0364;cherigten Sa&#x0364;cken voll Tannenzapfen befrachtet; die<lb/>
das arme Ge&#x017F;pann zu einem hekti&#x017F;chen Feuer zu&#x017F;am¬<lb/>
menfuhr. Beide vertau&#x017F;chten ha&#x0364;ufig ihre Chargen,<lb/>
um es auszudauern; und der Fuhrmann wollte im¬<lb/>
merfort &#x017F;ogleich wieder der Gaul werden. »Ihr gu¬<lb/>
»ten Kinder! kann denn nicht euer Vater &#x017F;chieben?«<lb/>
&#x2014; »Der Baum hat ihm die zwei Beine entzwei ge¬<lb/>
»&#x017F;chlagen.« &#x2014; »So ko&#x0364;nnte doch Euer großer Bru¬<lb/>
«der in den Wald?« &#x2014; »Er muß dort brachen«<lb/>
&#x2014; Viktor &#x017F;tand am Brachacker neben einem Wams<lb/>
mit eben &#x017F;o viel Farben als Lo&#x0364;chern und neben ei¬<lb/>
nem &#x017F;chmutzigen Brod&#x017F;ack, welches &#x017F;a&#x0364;mtlich dem Bru¬<lb/>
der angeho&#x0364;rte, der in der Ferne mit einem halben<lb/>
Po&#x017F;tzug magerer Ku&#x0364;he auf dem Theater die&#x017F;er Szene<lb/>
ackerte. &#x2014; &#x2014; Eine volle Hand, die &#x017F;ich in den<lb/>
Schoos des Elends ausleerte, machte Viktors &#x017F;chwe¬<lb/>
re Seele leichter wie das volle Auge, das &#x017F;ich jener<lb/>
nach ergoß: &#x017F;ein Gewi&#x017F;&#x017F;en, nicht &#x017F;ein Eigennutz, war<lb/>
&#x017F;ein Opponent gegen die <hi rendition="#g">Gro&#x0364;ße</hi> &#x017F;einer Gabe &#x2014; er<lb/>
gab &#x017F;ie doch, aber in kleinen Mu&#x0364;nz&#x017F;orten &#x2014; die<lb/>
Kinder verließen ihre Kaufmannsgu&#x0364;ter und das eine<lb/>
lief u&#x0364;ber das Feld hinu&#x0364;ber zum Pfluge und das an¬<lb/>
dre ins Do&#x0364;rfgen hinab zur Mutter. &#x2014; Der Ackers¬<lb/>
mann zog in der Ferne den Hut ab &#x2014; wollte laut<lb/>
danken, konnte &#x017F;ich aber nur &#x017F;chneuzen &#x2014; ackerte<lb/>
ohne Hut heran &#x2014; aber er&#x017F;t als er dem Ju&#x0364;ngling<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0231] loͤcherigten Saͤcken voll Tannenzapfen befrachtet; die das arme Geſpann zu einem hektiſchen Feuer zuſam¬ menfuhr. Beide vertauſchten haͤufig ihre Chargen, um es auszudauern; und der Fuhrmann wollte im¬ merfort ſogleich wieder der Gaul werden. »Ihr gu¬ »ten Kinder! kann denn nicht euer Vater ſchieben?« — »Der Baum hat ihm die zwei Beine entzwei ge¬ »ſchlagen.« — »So koͤnnte doch Euer großer Bru¬ «der in den Wald?« — »Er muß dort brachen« — Viktor ſtand am Brachacker neben einem Wams mit eben ſo viel Farben als Loͤchern und neben ei¬ nem ſchmutzigen Brodſack, welches ſaͤmtlich dem Bru¬ der angehoͤrte, der in der Ferne mit einem halben Poſtzug magerer Kuͤhe auf dem Theater dieſer Szene ackerte. — — Eine volle Hand, die ſich in den Schoos des Elends ausleerte, machte Viktors ſchwe¬ re Seele leichter wie das volle Auge, das ſich jener nach ergoß: ſein Gewiſſen, nicht ſein Eigennutz, war ſein Opponent gegen die Groͤße ſeiner Gabe — er gab ſie doch, aber in kleinen Muͤnzſorten — die Kinder verließen ihre Kaufmannsguͤter und das eine lief uͤber das Feld hinuͤber zum Pfluge und das an¬ dre ins Doͤrfgen hinab zur Mutter. — Der Ackers¬ mann zog in der Ferne den Hut ab — wollte laut danken, konnte ſich aber nur ſchneuzen — ackerte ohne Hut heran — aber erſt als er dem Juͤngling

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/231
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/231>, abgerufen am 27.11.2024.