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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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sie dem Junker alles was sie errieth und dankte
dem Hofmedikus für alles, worin sie irrte. ...

-- -- Lasset mich einen Augenblick wegsehen von
diesem misantropischen Gespinste und die schönere
Welt um mich mit Erquickung anschauen auf meiner
Insel, wo kein Feind ist -- das plätschernde Spiel
der Fische und Kinder am Ufer -- die spielende
Mutter, die ihnen Blumen und hütende Blicke zu¬
wirft -- die großen Ahornbäume, die sanft mit tau¬
send Blättern und Mücken flüsternd dem unter den
Wellen gaukelnden Baumschlag entgegen schwanken
-- und wie die warme Erde und der warme Him¬
mel in schlafender Liebe an einander ruhen und ein
Jahrhundert ums andre gebären. ...

Er ging bange vor dem Ende seiner ländlichen
Tage, nach Haus. -- Der Sonnabend (der 16te Ju¬
nius) eilte sanft vorüber und schüttelte ein ganzes
Blumenhaupt von beflügelten Samen zu neuen Freu¬
denblumen unter dem Eilen aus einander.

Die Sterne glitten leise über seine Nacht --
Ein freundlicher blauer Sonntagsmorgen legte sich
schwebend über das geputzte Dörfchen und hielt sei¬
nen Athem an, daß er nicht einmal eine reife Lin¬
denblüthe oder Dotterblumen-Spreu ausriß -- Vik¬
tor konnte das Fortepianissimo aus dem Schlosse
über das ausruhende Dorf herübertönen hören und
mußte mit der Engbrüstigkeit des glücklichen Seh¬

ſie dem Junker alles was ſie errieth und dankte
dem Hofmedikus fuͤr alles, worin ſie irrte. ...

— — Laſſet mich einen Augenblick wegſehen von
dieſem miſantropiſchen Geſpinſte und die ſchoͤnere
Welt um mich mit Erquickung anſchauen auf meiner
Inſel, wo kein Feind iſt — das plaͤtſchernde Spiel
der Fiſche und Kinder am Ufer — die ſpielende
Mutter, die ihnen Blumen und huͤtende Blicke zu¬
wirft — die großen Ahornbaͤume, die ſanft mit tau¬
ſend Blaͤttern und Muͤcken fluͤſternd dem unter den
Wellen gaukelnden Baumſchlag entgegen ſchwanken
— und wie die warme Erde und der warme Him¬
mel in ſchlafender Liebe an einander ruhen und ein
Jahrhundert ums andre gebaͤren. ...

Er ging bange vor dem Ende ſeiner laͤndlichen
Tage, nach Haus. — Der Sonnabend (der 16te Ju¬
nius) eilte ſanft voruͤber und ſchuͤttelte ein ganzes
Blumenhaupt von befluͤgelten Samen zu neuen Freu¬
denblumen unter dem Eilen aus einander.

Die Sterne glitten leiſe uͤber ſeine Nacht —
Ein freundlicher blauer Sonntagsmorgen legte ſich
ſchwebend uͤber das geputzte Doͤrfchen und hielt ſei¬
nen Athem an, daß er nicht einmal eine reife Lin¬
denbluͤthe oder Dotterblumen-Spreu ausriß — Vik¬
tor konnte das Fortepianiſſimo aus dem Schloſſe
uͤber das ausruhende Dorf heruͤbertoͤnen hoͤren und
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[184/0195] ſie dem Junker alles was ſie errieth und dankte dem Hofmedikus fuͤr alles, worin ſie irrte. ... — — Laſſet mich einen Augenblick wegſehen von dieſem miſantropiſchen Geſpinſte und die ſchoͤnere Welt um mich mit Erquickung anſchauen auf meiner Inſel, wo kein Feind iſt — das plaͤtſchernde Spiel der Fiſche und Kinder am Ufer — die ſpielende Mutter, die ihnen Blumen und huͤtende Blicke zu¬ wirft — die großen Ahornbaͤume, die ſanft mit tau¬ ſend Blaͤttern und Muͤcken fluͤſternd dem unter den Wellen gaukelnden Baumſchlag entgegen ſchwanken — und wie die warme Erde und der warme Him¬ mel in ſchlafender Liebe an einander ruhen und ein Jahrhundert ums andre gebaͤren. ... Er ging bange vor dem Ende ſeiner laͤndlichen Tage, nach Haus. — Der Sonnabend (der 16te Ju¬ nius) eilte ſanft voruͤber und ſchuͤttelte ein ganzes Blumenhaupt von befluͤgelten Samen zu neuen Freu¬ denblumen unter dem Eilen aus einander. Die Sterne glitten leiſe uͤber ſeine Nacht — Ein freundlicher blauer Sonntagsmorgen legte ſich ſchwebend uͤber das geputzte Doͤrfchen und hielt ſei¬ nen Athem an, daß er nicht einmal eine reife Lin¬ denbluͤthe oder Dotterblumen-Spreu ausriß — Vik¬ tor konnte das Fortepianiſſimo aus dem Schloſſe uͤber das ausruhende Dorf heruͤbertoͤnen hoͤren und mußte mit der Engbruͤſtigkeit des gluͤcklichen Seh¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/195>, abgerufen am 19.05.2024.