schen. In die Wolken floß das Abend-Blut der versinkenden Sonne wie ins Meer das Blut seiner in der Tiefe sterbenden Riesen. Das lockere Gewölk langte nicht zu, den Himmel zu decken; es schwamm um den Mond herum und ließ sein bleiches Silber aus den Schlacken blicken.
Das rothe Gewölk schminkte den Säugling. Je¬ der fassete leise seine weichen Hände, die schon aus der Kissen-Knospe und Wickelbänder-Verpuppung brachen. Klotilde -- anstatt an den Kleinen körper¬ perliche kokette Liebkosungen zu verschwenden, wie manche Mädgen vor oder für Mannspersonen thun -- goß einen-fortströmenden Blick voll herzlicher Liebe auf den neuen Menschen nieder, band seine schneidenden Hemd-Aermel auf, verbauete ihm den angeschielten Mond und sagte spielend: "lächle her "und liebe mich, Sebastian!" Sie konnte unmög¬ lich metaphorische Rikoschet-Schüsse in diese Zeile laden; auch wußte der große uneingewickelte Seba¬ stian recht gut, daß sie keinen Doppelsinn vorausge¬ sehen; ja er kannte die Regel, daß man aus der Aengstlichkeit, womit einige gewisse Gedanken aus ihrem Sprechen bannen, die Gegenwart derselben in ihrem Kopfe errathe. -- Gleichwohl hatt' er doch nicht den Muth, zu lächeln wie die andern oder das von ihr berührte Händgen in seines zu nehmen. Sie kehrte sich zu ihm und sagte: "aber wie lernt
ſchen. In die Wolken floß das Abend-Blut der verſinkenden Sonne wie ins Meer das Blut ſeiner in der Tiefe ſterbenden Rieſen. Das lockere Gewoͤlk langte nicht zu, den Himmel zu decken; es ſchwamm um den Mond herum und ließ ſein bleiches Silber aus den Schlacken blicken.
Das rothe Gewoͤlk ſchminkte den Saͤugling. Je¬ der faſſete leiſe ſeine weichen Haͤnde, die ſchon aus der Kiſſen-Knoſpe und Wickelbaͤnder-Verpuppung brachen. Klotilde — anſtatt an den Kleinen koͤrper¬ perliche kokette Liebkoſungen zu verſchwenden, wie manche Maͤdgen vor oder fuͤr Mannsperſonen thun — goß einen-fortſtroͤmenden Blick voll herzlicher Liebe auf den neuen Menſchen nieder, band ſeine ſchneidenden Hemd-Aermel auf, verbauete ihm den angeſchielten Mond und ſagte ſpielend: »laͤchle her »und liebe mich, Sebaſtian!« Sie konnte unmoͤg¬ lich metaphoriſche Rikoſchet-Schuͤſſe in dieſe Zeile laden; auch wußte der große uneingewickelte Seba¬ ſtian recht gut, daß ſie keinen Doppelſinn vorausge¬ ſehen; ja er kannte die Regel, daß man aus der Aengſtlichkeit, womit einige gewiſſe Gedanken aus ihrem Sprechen bannen, die Gegenwart derſelben in ihrem Kopfe errathe. — Gleichwohl hatt' er doch nicht den Muth, zu laͤcheln wie die andern oder das von ihr beruͤhrte Haͤndgen in ſeines zu nehmen. Sie kehrte ſich zu ihm und ſagte: »aber wie lernt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0160"n="149"/>ſchen. In die Wolken floß das Abend-Blut der<lb/>
verſinkenden Sonne wie ins Meer das Blut ſeiner<lb/>
in der Tiefe ſterbenden Rieſen. Das lockere Gewoͤlk<lb/>
langte nicht zu, den Himmel zu decken; es ſchwamm<lb/>
um den Mond herum und ließ ſein bleiches Silber<lb/>
aus den Schlacken blicken.</p><lb/><p>Das rothe Gewoͤlk ſchminkte den Saͤugling. Je¬<lb/>
der faſſete leiſe ſeine weichen Haͤnde, die ſchon aus<lb/>
der Kiſſen-Knoſpe und Wickelbaͤnder-Verpuppung<lb/>
brachen. Klotilde — anſtatt an den Kleinen koͤrper¬<lb/>
perliche kokette Liebkoſungen zu verſchwenden, wie<lb/>
manche Maͤdgen <hirendition="#g">vor</hi> oder <hirendition="#g">fuͤr</hi> Mannsperſonen thun<lb/>— goß einen-fortſtroͤmenden Blick voll herzlicher<lb/>
Liebe auf den neuen Menſchen nieder, band ſeine<lb/>ſchneidenden Hemd-Aermel auf, verbauete ihm den<lb/>
angeſchielten Mond und ſagte ſpielend: »laͤchle her<lb/>
»und liebe mich, <hirendition="#g">Sebaſtian</hi>!« Sie konnte unmoͤg¬<lb/>
lich metaphoriſche <hirendition="#g">Rikoſchet</hi>-Schuͤſſe in dieſe Zeile<lb/>
laden; auch wußte der große uneingewickelte Seba¬<lb/>ſtian recht gut, daß ſie keinen Doppelſinn vorausge¬<lb/>ſehen; ja er kannte die Regel, daß man aus der<lb/>
Aengſtlichkeit, womit einige gewiſſe Gedanken aus<lb/>
ihrem Sprechen bannen, die Gegenwart derſelben in<lb/>
ihrem Kopfe errathe. — Gleichwohl hatt' er doch<lb/>
nicht den Muth, zu laͤcheln wie die andern oder das<lb/>
von ihr beruͤhrte Haͤndgen in ſeines zu nehmen.<lb/>
Sie kehrte ſich zu ihm und ſagte: »aber wie lernt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[149/0160]
ſchen. In die Wolken floß das Abend-Blut der
verſinkenden Sonne wie ins Meer das Blut ſeiner
in der Tiefe ſterbenden Rieſen. Das lockere Gewoͤlk
langte nicht zu, den Himmel zu decken; es ſchwamm
um den Mond herum und ließ ſein bleiches Silber
aus den Schlacken blicken.
Das rothe Gewoͤlk ſchminkte den Saͤugling. Je¬
der faſſete leiſe ſeine weichen Haͤnde, die ſchon aus
der Kiſſen-Knoſpe und Wickelbaͤnder-Verpuppung
brachen. Klotilde — anſtatt an den Kleinen koͤrper¬
perliche kokette Liebkoſungen zu verſchwenden, wie
manche Maͤdgen vor oder fuͤr Mannsperſonen thun
— goß einen-fortſtroͤmenden Blick voll herzlicher
Liebe auf den neuen Menſchen nieder, band ſeine
ſchneidenden Hemd-Aermel auf, verbauete ihm den
angeſchielten Mond und ſagte ſpielend: »laͤchle her
»und liebe mich, Sebaſtian!« Sie konnte unmoͤg¬
lich metaphoriſche Rikoſchet-Schuͤſſe in dieſe Zeile
laden; auch wußte der große uneingewickelte Seba¬
ſtian recht gut, daß ſie keinen Doppelſinn vorausge¬
ſehen; ja er kannte die Regel, daß man aus der
Aengſtlichkeit, womit einige gewiſſe Gedanken aus
ihrem Sprechen bannen, die Gegenwart derſelben in
ihrem Kopfe errathe. — Gleichwohl hatt' er doch
nicht den Muth, zu laͤcheln wie die andern oder das
von ihr beruͤhrte Haͤndgen in ſeines zu nehmen.
Sie kehrte ſich zu ihm und ſagte: »aber wie lernt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/160>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.