Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

decken: rief er der armen vergessenen Apollonia, die
an der Hausthür den erwachten Bastian schwenkte,
überlaut zu, herzukommen. Aber diese Arme, deren
entfernte freudige Theilnahme an der allgemeinen
Annäherung unsern Viktor im Innersten rührte, zö¬
gerte noch bis die Mutter kam und sie schadlos hielt
durch alles, was den Müttern nie vergolten wird.
Aber erst als die Pfarrerin ihr Kind in ihren Ar¬
men und an ihren Lippen hatte, fühlte sie, daß die
gefangnen Flammen ihrer Gefühle ihre Oefnung fan¬
den und ihr Herz seine Erleichterung. -- --

Ach! daß der Mensch gerade zu der Zeit die
schönste Liebe empfängt, wo er sie noch nicht ver¬
steht -- ach daß er erst spät im Lebensjahre, wenn
er seufzend einer fremden Eltern- und Kinderliebe
zusieht, hoffend so zu sich sagt: "ach meine haben mich
gewiß auch so geliebt" -- ach daß alsdann der Bu¬
sen, zu dem du mit dem Danke für ein halbes Le¬
ben, für tausend verkannte Sorgen, für eine unaus¬
sprechliche nie wiederkehrende Liebe eilen willst, schon
zerdrückt liegt unter einem alten Grabe und das
warme Herz verloren hat, das dich so lange ge¬
liebt! . . .

In der häuslichen Glückseligkeit sind die wind¬
stillen, zwischen vier engen Wänden vorgetriebnen
bequemen Freuden nur der zufälligste Bestandtheil
und nur das Adjuvans: ihre Basis sind die lodern¬

den

decken: rief er der armen vergeſſenen Apollonia, die
an der Hausthuͤr den erwachten Baſtian ſchwenkte,
uͤberlaut zu, herzukommen. Aber dieſe Arme, deren
entfernte freudige Theilnahme an der allgemeinen
Annaͤherung unſern Viktor im Innerſten ruͤhrte, zoͤ¬
gerte noch bis die Mutter kam und ſie ſchadlos hielt
durch alles, was den Muͤttern nie vergolten wird.
Aber erſt als die Pfarrerin ihr Kind in ihren Ar¬
men und an ihren Lippen hatte, fuͤhlte ſie, daß die
gefangnen Flammen ihrer Gefuͤhle ihre Oefnung fan¬
den und ihr Herz ſeine Erleichterung. — —

Ach! daß der Menſch gerade zu der Zeit die
ſchoͤnſte Liebe empfaͤngt, wo er ſie noch nicht ver¬
ſteht — ach daß er erſt ſpaͤt im Lebensjahre, wenn
er ſeufzend einer fremden Eltern- und Kinderliebe
zuſieht, hoffend ſo zu ſich ſagt: »ach meine haben mich
gewiß auch ſo geliebt« — ach daß alsdann der Bu¬
ſen, zu dem du mit dem Danke fuͤr ein halbes Le¬
ben, fuͤr tauſend verkannte Sorgen, fuͤr eine unaus¬
ſprechliche nie wiederkehrende Liebe eilen willſt, ſchon
zerdruͤckt liegt unter einem alten Grabe und das
warme Herz verloren hat, das dich ſo lange ge¬
liebt! . . .

In der haͤuslichen Gluͤckſeligkeit ſind die wind¬
ſtillen, zwiſchen vier engen Waͤnden vorgetriebnen
bequemen Freuden nur der zufaͤlligſte Beſtandtheil
und nur das Adjuvans: ihre Baſis ſind die lodern¬

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0155" n="144"/>
decken: rief er der armen verge&#x017F;&#x017F;enen Apollonia, die<lb/>
an der Hausthu&#x0364;r den erwachten Ba&#x017F;tian &#x017F;chwenkte,<lb/>
u&#x0364;berlaut zu, herzukommen. Aber die&#x017F;e Arme, deren<lb/>
entfernte freudige Theilnahme an der allgemeinen<lb/>
Anna&#x0364;herung un&#x017F;ern Viktor im Inner&#x017F;ten ru&#x0364;hrte, zo&#x0364;¬<lb/>
gerte noch bis die Mutter kam und &#x017F;ie &#x017F;chadlos hielt<lb/>
durch alles, was den Mu&#x0364;ttern nie vergolten wird.<lb/>
Aber er&#x017F;t als die Pfarrerin ihr Kind in ihren Ar¬<lb/>
men und an ihren Lippen hatte, fu&#x0364;hlte &#x017F;ie, daß die<lb/>
gefangnen Flammen ihrer Gefu&#x0364;hle ihre Oefnung fan¬<lb/>
den und ihr Herz &#x017F;eine Erleichterung. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ach! daß der Men&#x017F;ch gerade zu der Zeit die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Liebe empfa&#x0364;ngt, wo er &#x017F;ie noch nicht ver¬<lb/>
&#x017F;teht &#x2014; ach daß er er&#x017F;t &#x017F;pa&#x0364;t im Lebensjahre, wenn<lb/>
er &#x017F;eufzend einer fremden Eltern- und Kinderliebe<lb/>
zu&#x017F;ieht, hoffend &#x017F;o zu &#x017F;ich &#x017F;agt: »ach meine haben mich<lb/>
gewiß auch &#x017F;o geliebt« &#x2014; ach daß alsdann der Bu¬<lb/>
&#x017F;en, zu dem du mit dem Danke fu&#x0364;r ein halbes Le¬<lb/>
ben, fu&#x0364;r tau&#x017F;end verkannte Sorgen, fu&#x0364;r eine unaus¬<lb/>
&#x017F;prechliche nie wiederkehrende Liebe eilen will&#x017F;t, &#x017F;chon<lb/>
zerdru&#x0364;ckt liegt unter einem alten Grabe und das<lb/>
warme Herz verloren hat, das dich &#x017F;o lange ge¬<lb/>
liebt! . . .</p><lb/>
        <p>In der ha&#x0364;uslichen Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit &#x017F;ind die wind¬<lb/>
&#x017F;tillen, zwi&#x017F;chen vier engen Wa&#x0364;nden vorgetriebnen<lb/>
bequemen Freuden nur der zufa&#x0364;llig&#x017F;te Be&#x017F;tandtheil<lb/>
und nur das Adjuvans: ihre Ba&#x017F;is &#x017F;ind die lodern¬<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0155] decken: rief er der armen vergeſſenen Apollonia, die an der Hausthuͤr den erwachten Baſtian ſchwenkte, uͤberlaut zu, herzukommen. Aber dieſe Arme, deren entfernte freudige Theilnahme an der allgemeinen Annaͤherung unſern Viktor im Innerſten ruͤhrte, zoͤ¬ gerte noch bis die Mutter kam und ſie ſchadlos hielt durch alles, was den Muͤttern nie vergolten wird. Aber erſt als die Pfarrerin ihr Kind in ihren Ar¬ men und an ihren Lippen hatte, fuͤhlte ſie, daß die gefangnen Flammen ihrer Gefuͤhle ihre Oefnung fan¬ den und ihr Herz ſeine Erleichterung. — — Ach! daß der Menſch gerade zu der Zeit die ſchoͤnſte Liebe empfaͤngt, wo er ſie noch nicht ver¬ ſteht — ach daß er erſt ſpaͤt im Lebensjahre, wenn er ſeufzend einer fremden Eltern- und Kinderliebe zuſieht, hoffend ſo zu ſich ſagt: »ach meine haben mich gewiß auch ſo geliebt« — ach daß alsdann der Bu¬ ſen, zu dem du mit dem Danke fuͤr ein halbes Le¬ ben, fuͤr tauſend verkannte Sorgen, fuͤr eine unaus¬ ſprechliche nie wiederkehrende Liebe eilen willſt, ſchon zerdruͤckt liegt unter einem alten Grabe und das warme Herz verloren hat, das dich ſo lange ge¬ liebt! . . . In der haͤuslichen Gluͤckſeligkeit ſind die wind¬ ſtillen, zwiſchen vier engen Waͤnden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufaͤlligſte Beſtandtheil und nur das Adjuvans: ihre Baſis ſind die lodern¬ den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/155
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/155>, abgerufen am 19.05.2024.