Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Schöne Zeit! ich wollte gern die eine Aehnlichkeit
auf mich nehmen, könnte ich damit meiner Mut¬
ter die andere zurückführen."

Nun fuhr der Notar über die Nähe des er¬
helleten Abgrunds, in der er hätte treten können,
roth zurück, und fürchtete ordentlich, die Betise
fahre ihm noch wider Willen aus dem Halse.
"Auch ich gienge gern in jene Blindheit zurück;
die Nacht ist die Mutter der Götter und Göttin¬
nen!" sagte er und wollte erträglich auf die Au¬
rikelbraut anspielen. Wina verstand nichts da¬
von als den Ton und Blick; und so war es ge¬
nug und gut gemacht.

Man rief sie zum Essen: Da er glaubte,
er werde wie im Rosenhöfer Wirthshaus wieder
an Generals-Tafel gezogen: so stand er auf, um
ihr den Arm zu bieten, sie stickte aber fort; und
er stand nahe am Rahmen und sah herab auf das
lockige Haupt, worin seine Welt und seine Zu¬
kunft wohnte, die sich in lauter Schönheiten ver¬
barg -- das Fruchtgewinde des Geistes war vom
Blumengewinde der Gestalt schön verhüllt und
schön verdoppelt. Sie stand auf. Jetzt näherte

Schoͤne Zeit! ich wollte gern die eine Aehnlichkeit
auf mich nehmen, koͤnnte ich damit meiner Mut¬
ter die andere zuruͤckfuͤhren.“

Nun fuhr der Notar uͤber die Naͤhe des er¬
helleten Abgrunds, in der er haͤtte treten koͤnnen,
roth zuruͤck, und fuͤrchtete ordentlich, die Betiſe
fahre ihm noch wider Willen aus dem Halſe.
„Auch ich gienge gern in jene Blindheit zuruͤck;
die Nacht iſt die Mutter der Goͤtter und Goͤttin¬
nen!” ſagte er und wollte ertraͤglich auf die Au¬
rikelbraut anſpielen. Wina verſtand nichts da¬
von als den Ton und Blick; und ſo war es ge¬
nug und gut gemacht.

Man rief ſie zum Eſſen: Da er glaubte,
er werde wie im Roſenhoͤfer Wirthshaus wieder
an Generals-Tafel gezogen: ſo ſtand er auf, um
ihr den Arm zu bieten, ſie ſtickte aber fort; und
er ſtand nahe am Rahmen und ſah herab auf das
lockige Haupt, worin ſeine Welt und ſeine Zu¬
kunft wohnte, die ſich in lauter Schoͤnheiten ver¬
barg — das Fruchtgewinde des Geiſtes war vom
Blumengewinde der Geſtalt ſchoͤn verhuͤllt und
ſchoͤn verdoppelt. Sie ſtand auf. Jetzt naͤherte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0217" n="211"/>
Scho&#x0364;ne Zeit! ich wollte gern die eine Aehnlichkeit<lb/>
auf mich nehmen, ko&#x0364;nnte ich damit meiner Mut¬<lb/>
ter die andere zuru&#x0364;ckfu&#x0364;hren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nun fuhr der Notar u&#x0364;ber die Na&#x0364;he des er¬<lb/>
helleten Abgrunds, in der er ha&#x0364;tte treten ko&#x0364;nnen,<lb/>
roth zuru&#x0364;ck, und fu&#x0364;rchtete ordentlich, die Beti&#x017F;e<lb/>
fahre ihm noch wider Willen aus dem Hal&#x017F;e.<lb/>
&#x201E;Auch ich gienge gern in jene Blindheit zuru&#x0364;ck;<lb/>
die Nacht i&#x017F;t die Mutter der Go&#x0364;tter und Go&#x0364;ttin¬<lb/>
nen!&#x201D; &#x017F;agte er und wollte ertra&#x0364;glich auf die Au¬<lb/>
rikelbraut an&#x017F;pielen. Wina ver&#x017F;tand nichts da¬<lb/>
von als den Ton und Blick; und &#x017F;o war es ge¬<lb/>
nug und gut gemacht.</p><lb/>
        <p>Man rief &#x017F;ie zum E&#x017F;&#x017F;en: Da er glaubte,<lb/>
er werde wie im Ro&#x017F;enho&#x0364;fer Wirthshaus wieder<lb/>
an Generals-Tafel gezogen: &#x017F;o &#x017F;tand er auf, um<lb/>
ihr den Arm zu bieten, &#x017F;ie &#x017F;tickte aber fort; und<lb/>
er &#x017F;tand nahe am Rahmen und &#x017F;ah herab auf das<lb/>
lockige Haupt, worin &#x017F;eine Welt und &#x017F;eine Zu¬<lb/>
kunft wohnte, die &#x017F;ich in lauter Scho&#x0364;nheiten ver¬<lb/>
barg &#x2014; das Fruchtgewinde des Gei&#x017F;tes war vom<lb/>
Blumengewinde der Ge&#x017F;talt &#x017F;cho&#x0364;n verhu&#x0364;llt und<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n verdoppelt. Sie &#x017F;tand auf. Jetzt na&#x0364;herte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0217] Schoͤne Zeit! ich wollte gern die eine Aehnlichkeit auf mich nehmen, koͤnnte ich damit meiner Mut¬ ter die andere zuruͤckfuͤhren.“ Nun fuhr der Notar uͤber die Naͤhe des er¬ helleten Abgrunds, in der er haͤtte treten koͤnnen, roth zuruͤck, und fuͤrchtete ordentlich, die Betiſe fahre ihm noch wider Willen aus dem Halſe. „Auch ich gienge gern in jene Blindheit zuruͤck; die Nacht iſt die Mutter der Goͤtter und Goͤttin¬ nen!” ſagte er und wollte ertraͤglich auf die Au¬ rikelbraut anſpielen. Wina verſtand nichts da¬ von als den Ton und Blick; und ſo war es ge¬ nug und gut gemacht. Man rief ſie zum Eſſen: Da er glaubte, er werde wie im Roſenhoͤfer Wirthshaus wieder an Generals-Tafel gezogen: ſo ſtand er auf, um ihr den Arm zu bieten, ſie ſtickte aber fort; und er ſtand nahe am Rahmen und ſah herab auf das lockige Haupt, worin ſeine Welt und ſeine Zu¬ kunft wohnte, die ſich in lauter Schoͤnheiten ver¬ barg — das Fruchtgewinde des Geiſtes war vom Blumengewinde der Geſtalt ſchoͤn verhuͤllt und ſchoͤn verdoppelt. Sie ſtand auf. Jetzt naͤherte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/217
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/217>, abgerufen am 04.05.2024.