Da der Notar nichts schwierigeres kannte, als zu fragen -- d. h. im Ozean zu angeln --, nichts leichteres aber, als zu antworten, weil die Frage die Antwort umkränze: so hielt er es für Pflicht jedes Unter-Sprechers, auf den Ober- Sprecher nur die leichtere Last zu laden und frag¬ te sogleich. Wie bequem wohnen dagegen Män¬ ner, welche gerade das Widerspiel als Weltsitte kennen und ehren, unter ihrer Gehirnschale, und wie vergnügt, wenn sie vor Kronen und Kron¬ erben treten! Aller Anreden gewärtig und gewiß, machen sie ausser der Verbeugung nichts und kei¬ ne eigne, sondern warten ab. Sogar nach der ersten Antwort passen die Welt-Männer gelassen von neuem, weil kein anderer als der gekrönte Kopf fort zu weben hat.
Der Notar machte darauf seine Abschriften von den verliebten Zuschriften, aber seine Seele wohnte mit ihren Fühlfaden nirgends als in der Schnecke des Ohrs: um jedem Laute der verbor¬ genen Lebensseele nachzustellen. Er schrieb keine Seite ohne sich umzudrehen und das heilige Zim¬ mer zu beschauen, -- das er einen ganzen Tag,
Da der Notar nichts ſchwierigeres kannte, als zu fragen — d. h. im Ozean zu angeln —, nichts leichteres aber, als zu antworten, weil die Frage die Antwort umkraͤnze: ſo hielt er es fuͤr Pflicht jedes Unter-Sprechers, auf den Ober- Sprecher nur die leichtere Laſt zu laden und frag¬ te ſogleich. Wie bequem wohnen dagegen Maͤn¬ ner, welche gerade das Widerſpiel als Weltſitte kennen und ehren, unter ihrer Gehirnſchale, und wie vergnuͤgt, wenn ſie vor Kronen und Kron¬ erben treten! Aller Anreden gewaͤrtig und gewiß, machen ſie auſſer der Verbeugung nichts und kei¬ ne eigne, ſondern warten ab. Sogar nach der erſten Antwort paſſen die Welt-Maͤnner gelaſſen von neuem, weil kein anderer als der gekroͤnte Kopf fort zu weben hat.
Der Notar machte darauf ſeine Abſchriften von den verliebten Zuſchriften, aber ſeine Seele wohnte mit ihren Fuͤhlfaden nirgends als in der Schnecke des Ohrs: um jedem Laute der verbor¬ genen Lebensſeele nachzuſtellen. Er ſchrieb keine Seite ohne ſich umzudrehen und das heilige Zim¬ mer zu beſchauen, — das er einen ganzen Tag,
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Da der Notar nichts ſchwierigeres kannte,
als zu fragen — d. h. im Ozean zu angeln —,
nichts leichteres aber, als zu antworten, weil
die Frage die Antwort umkraͤnze: ſo hielt er es
fuͤr Pflicht jedes Unter-Sprechers, auf den Ober-
Sprecher nur die leichtere Laſt zu laden und frag¬
te ſogleich. Wie bequem wohnen dagegen Maͤn¬
ner, welche gerade das Widerſpiel als Weltſitte
kennen und ehren, unter ihrer Gehirnſchale, und
wie vergnuͤgt, wenn ſie vor Kronen und Kron¬
erben treten! Aller Anreden gewaͤrtig und gewiß,
machen ſie auſſer der Verbeugung nichts und kei¬
ne eigne, ſondern warten ab. Sogar nach der
erſten Antwort paſſen die Welt-Maͤnner gelaſſen
von neuem, weil kein anderer als der gekroͤnte
Kopf fort zu weben hat.
Der Notar machte darauf ſeine Abſchriften
von den verliebten Zuſchriften, aber ſeine Seele
wohnte mit ihren Fuͤhlfaden nirgends als in der
Schnecke des Ohrs: um jedem Laute der verbor¬
genen Lebensſeele nachzuſtellen. Er ſchrieb keine
Seite ohne ſich umzudrehen und das heilige Zim¬
mer zu beſchauen, — das er einen ganzen Tag,
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/209>, abgerufen am 27.11.2024.
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