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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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Er mochte kaum drei schnellere Schritte ge¬
than haben, um ihr vorzukommen: als er drei
Flüche und ein Kothwort vernahm. Er drehte
sich heftig um, mit der glänzenden Ordenskette
in Händen, die er der anscheinenden Ordensschwe¬
ster der Sklavinnen der Tugend vom Sing-Halse
gerissen; und in einer dunkeln Allee der Stadt
ließ er Thränen fallen, darüber, daß eine solche
rauhe Seele eine Singstimme besitze, und daß sie
der heiligen so nahe wohne. Hoch aber zog Wi¬
nas Gestalt in ihrem glänzenden Wolkenhimmel
weiter; und ihm war, als könne nur ein Tod ihn,
wie zu Gott, so zur Göttin bringen.


Nro. 35. Chrysopras.

Träumen -- Singen -- Beten -- Träumen.

Am Freitage darauf, wo Wina wiederkom¬
men sollte, sprang er, ohne an sie zu denken, so
innig-vergnügt aus dem Bette in den Tag, als
wär's ein Brauttag. Er wußte keinen Grund als
daß er die ganze Nacht einen immer zurükflattern¬
dern Traum gesehen, wovon er kein Bild und

Er mochte kaum drei ſchnellere Schritte ge¬
than haben, um ihr vorzukommen: als er drei
Fluͤche und ein Kothwort vernahm. Er drehte
ſich heftig um, mit der glaͤnzenden Ordenskette
in Haͤnden, die er der anſcheinenden Ordensſchwe¬
ſter der Sklavinnen der Tugend vom Sing-Halſe
geriſſen; und in einer dunkeln Allee der Stadt
ließ er Thraͤnen fallen, daruͤber, daß eine ſolche
rauhe Seele eine Singſtimme beſitze, und daß ſie
der heiligen ſo nahe wohne. Hoch aber zog Wi¬
nas Geſtalt in ihrem glaͤnzenden Wolkenhimmel
weiter; und ihm war, als koͤnne nur ein Tod ihn,
wie zu Gott, ſo zur Goͤttin bringen.


Nro. 35. Chryſopras.

Traͤumen — Singen — Beten — Traͤumen.

Am Freitage darauf, wo Wina wiederkom¬
men ſollte, ſprang er, ohne an ſie zu denken, ſo
innig-vergnuͤgt aus dem Bette in den Tag, als
waͤr's ein Brauttag. Er wußte keinen Grund als
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dern Traum geſehen, wovon er kein Bild und

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[20/0028] Er mochte kaum drei ſchnellere Schritte ge¬ than haben, um ihr vorzukommen: als er drei Fluͤche und ein Kothwort vernahm. Er drehte ſich heftig um, mit der glaͤnzenden Ordenskette in Haͤnden, die er der anſcheinenden Ordensſchwe¬ ſter der Sklavinnen der Tugend vom Sing-Halſe geriſſen; und in einer dunkeln Allee der Stadt ließ er Thraͤnen fallen, daruͤber, daß eine ſolche rauhe Seele eine Singſtimme beſitze, und daß ſie der heiligen ſo nahe wohne. Hoch aber zog Wi¬ nas Geſtalt in ihrem glaͤnzenden Wolkenhimmel weiter; und ihm war, als koͤnne nur ein Tod ihn, wie zu Gott, ſo zur Goͤttin bringen. Nro. 35. Chryſopras. Traͤumen — Singen — Beten — Traͤumen. Am Freitage darauf, wo Wina wiederkom¬ men ſollte, ſprang er, ohne an ſie zu denken, ſo innig-vergnuͤgt aus dem Bette in den Tag, als waͤr's ein Brauttag. Er wußte keinen Grund als daß er die ganze Nacht einen immer zuruͤkflattern¬ dern Traum geſehen, wovon er kein Bild und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/28>, abgerufen am 28.03.2024.