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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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brieflichen Schweigens den Umweg über Rosen¬
hof nach Leipzig zu sagen. Der General, der
so freimüthig mit der Tochter vor dem Notarius
sprach, als laufe dieser als ein tauber Schatten¬
mann oder als ein stummer verschwiegner Affe
mit, machte Winen geradezu Vorwürfe über ih¬
re vielseitigen Sorgen und Schreibereien und über
die ewigen Opfer ihres Ichs. Sie versezte bloß:
"wollte Gott, sie verdiente den Tadel!"

Als sie ins Gebürge traten, kroch die Nacht
in die Schluchten zurück, und unter die Thal-
Nebel unter, und der Tag stand mit der Glanz-
Stirn schon in den Höhen des Aethers. Plöz¬
lich lenkte der General das Paar in eine Felsen-
Spalte hinein, worin sie hoch oben das eine
höchste Berghorn schon vom Morgen-Purpur
umwickelt sahen, das andere tiefere vom Nacht¬
schleier umwunden, zwischen beiden schimmerte
der Morgenstern -- die Jungfrau und der Jüng¬
ling riefen mit einander: o Gott!

"Nicht wahr? sagte der General und sah
den Himmel im schwarzen Spiegel nach -- das
ist einmal für meine Schwärmerin?" -- Lang¬

brieflichen Schweigens den Umweg uͤber Roſen¬
hof nach Leipzig zu ſagen. Der General, der
ſo freimuͤthig mit der Tochter vor dem Notarius
ſprach, als laufe dieſer als ein tauber Schatten¬
mann oder als ein ſtummer verſchwiegner Affe
mit, machte Winen geradezu Vorwuͤrfe uͤber ih¬
re vielſeitigen Sorgen und Schreibereien und uͤber
die ewigen Opfer ihres Ichs. Sie verſezte bloß:
„wollte Gott, ſie verdiente den Tadel!“

Als ſie ins Gebuͤrge traten, kroch die Nacht
in die Schluchten zuruͤck, und unter die Thal-
Nebel unter, und der Tag ſtand mit der Glanz-
Stirn ſchon in den Hoͤhen des Aethers. Ploͤz¬
lich lenkte der General das Paar in eine Felſen-
Spalte hinein, worin ſie hoch oben das eine
hoͤchſte Berghorn ſchon vom Morgen-Purpur
umwickelt ſahen, das andere tiefere vom Nacht¬
ſchleier umwunden, zwiſchen beiden ſchimmerte
der Morgenſtern — die Jungfrau und der Juͤng¬
ling riefen mit einander: o Gott!

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[201/0209] brieflichen Schweigens den Umweg uͤber Roſen¬ hof nach Leipzig zu ſagen. Der General, der ſo freimuͤthig mit der Tochter vor dem Notarius ſprach, als laufe dieſer als ein tauber Schatten¬ mann oder als ein ſtummer verſchwiegner Affe mit, machte Winen geradezu Vorwuͤrfe uͤber ih¬ re vielſeitigen Sorgen und Schreibereien und uͤber die ewigen Opfer ihres Ichs. Sie verſezte bloß: „wollte Gott, ſie verdiente den Tadel!“ Als ſie ins Gebuͤrge traten, kroch die Nacht in die Schluchten zuruͤck, und unter die Thal- Nebel unter, und der Tag ſtand mit der Glanz- Stirn ſchon in den Hoͤhen des Aethers. Ploͤz¬ lich lenkte der General das Paar in eine Felſen- Spalte hinein, worin ſie hoch oben das eine hoͤchſte Berghorn ſchon vom Morgen-Purpur umwickelt ſahen, das andere tiefere vom Nacht¬ ſchleier umwunden, zwiſchen beiden ſchimmerte der Morgenſtern — die Jungfrau und der Juͤng¬ ling riefen mit einander: o Gott! „Nicht wahr? ſagte der General und ſah den Himmel im ſchwarzen Spiegel nach — das iſt einmal fuͤr meine Schwaͤrmerin?“ — Lang¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/209>, abgerufen am 24.11.2024.