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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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zieren sehen. Rasch trat Wina ans mondhelle
Fenster, athmete Einmal recht seufzend ein, und
sagte schnell: "den Schleier, Luzie! Und du weist
es gewiß, liebes Mädgen, und auch den Gar¬
ten?" -- Mit einer leisen Stimme, wie nur
eine mährische Schwester anstimmen kann, ver¬
sezte Luzie: "ja, Gnädigste!" Wina warf den
Schleier über den Hut und redete, hinter diesem
gewebten Nebel, und fliegenden Sommer unbe¬
schreiblich blühend und liebreizend, den Notarius
mit sanftem Stocken an: "lieber H. Notar --
Sie lieben ja auch, wie ich hörte, die Natur --
und mein guter Vater" -- --

Er war schon nach dem Hut-Stock geflo¬
gen, und stand bewafnet und reisefertig da --
und gieng hinter beiden mit hinaus. Denn ein
fremdes Zimmer zu verlassen, fühlt' er sich
ganz berechtigt. Indeß aber solches geschlossen
wurde, kam er wieder voraus zu stehen, nahe an
der Treppe; -- und in ihm fieng ein kurzes Tref¬
fen und Scharmüzel an über die Frage, ob er
mit entweder dürfe oder solle -- oder weder ei¬
nes noch das andere. Wina konnte ihn nicht

zieren ſehen. Raſch trat Wina ans mondhelle
Fenſter, athmete Einmal recht ſeufzend ein, und
ſagte ſchnell: „den Schleier, Luzie! Und du weiſt
es gewiß, liebes Maͤdgen, und auch den Gar¬
ten?“ — Mit einer leiſen Stimme, wie nur
eine maͤhriſche Schweſter anſtimmen kann, ver¬
ſezte Luzie: „ja, Gnaͤdigſte!“ Wina warf den
Schleier uͤber den Hut und redete, hinter dieſem
gewebten Nebel, und fliegenden Sommer unbe¬
ſchreiblich bluͤhend und liebreizend, den Notarius
mit ſanftem Stocken an: „lieber H. Notar —
Sie lieben ja auch, wie ich hoͤrte, die Natur —
und mein guter Vater“ — —

Er war ſchon nach dem Hut-Stock geflo¬
gen, und ſtand bewafnet und reiſefertig da —
und gieng hinter beiden mit hinaus. Denn ein
fremdes Zimmer zu verlaſſen, fuͤhlt' er ſich
ganz berechtigt. Indeß aber ſolches geſchloſſen
wurde, kam er wieder voraus zu ſtehen, nahe an
der Treppe; — und in ihm fieng ein kurzes Tref¬
fen und Scharmuͤzel an uͤber die Frage, ob er
mit entweder duͤrfe oder ſolle — oder weder ei¬
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[185/0193] zieren ſehen. Raſch trat Wina ans mondhelle Fenſter, athmete Einmal recht ſeufzend ein, und ſagte ſchnell: „den Schleier, Luzie! Und du weiſt es gewiß, liebes Maͤdgen, und auch den Gar¬ ten?“ — Mit einer leiſen Stimme, wie nur eine maͤhriſche Schweſter anſtimmen kann, ver¬ ſezte Luzie: „ja, Gnaͤdigſte!“ Wina warf den Schleier uͤber den Hut und redete, hinter dieſem gewebten Nebel, und fliegenden Sommer unbe¬ ſchreiblich bluͤhend und liebreizend, den Notarius mit ſanftem Stocken an: „lieber H. Notar — Sie lieben ja auch, wie ich hoͤrte, die Natur — und mein guter Vater“ — — Er war ſchon nach dem Hut-Stock geflo¬ gen, und ſtand bewafnet und reiſefertig da — und gieng hinter beiden mit hinaus. Denn ein fremdes Zimmer zu verlaſſen, fuͤhlt' er ſich ganz berechtigt. Indeß aber ſolches geſchloſſen wurde, kam er wieder voraus zu ſtehen, nahe an der Treppe; — und in ihm fieng ein kurzes Tref¬ fen und Scharmuͤzel an uͤber die Frage, ob er mit entweder duͤrfe oder ſolle — oder weder ei¬ nes noch das andere. Wina konnte ihn nicht

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/193>, abgerufen am 05.05.2024.