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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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Ich blieb im Wirrwarr, obgleich die Sonne
vielmehr fiel als stieg, bis ein junger hagerer
Maler mit scharfen und schönen Gesichts-Kno¬
chen und langen Beinen und Schritten und ei¬
nem der größten Preussischen Hüte vor mir da¬
hin vorüber wollte, mit einer Mahler-Tasche
in der Hand. "Guten Morgen, Freund, sagt'
ich, ist das die Strasse nach Rosenhof, und wie
lange?" Dort hinter den Hügeln liegt's gleich,
Sie können in einer Viertel-Stunde noch vor
Sonnenuntergang ankommen, wenn die Fähre
eben da ist." Er entlief mit seinen gedachten
Schritten und ich sagte: Dank, gute Nacht.
Es war mir aber gewaltsam, als wenn sich die
Welt rückwärts drehte, und als wenn ein großer
Schatte über das Sonnen-Feuer des Lebens kä¬
me, da ich den Morgen zum Abend machen
muste." So weit seine Worte.

Jzt stand der Notar still, drehte sich um,
eine lange Ebene hinter ihm schlossen unbekannte
Berge zu; vor ihm standen sie wie Sturmbalken
der Gewitter, gehörnt und gespalten hinter den
Hügeln gen Himmel und die Berg-Riesen tru¬

Ich blieb im Wirrwarr, obgleich die Sonne
vielmehr fiel als ſtieg, bis ein junger hagerer
Maler mit ſcharfen und ſchoͤnen Geſichts-Kno¬
chen und langen Beinen und Schritten und ei¬
nem der groͤßten Preuſſiſchen Huͤte vor mir da¬
hin voruͤber wollte, mit einer Mahler-Taſche
in der Hand. „Guten Morgen, Freund, ſagt'
ich, iſt das die Straſſe nach Roſenhof, und wie
lange?“ Dort hinter den Huͤgeln liegt's gleich,
Sie koͤnnen in einer Viertel-Stunde noch vor
Sonnenuntergang ankommen, wenn die Faͤhre
eben da iſt.“ Er entlief mit ſeinen gedachten
Schritten und ich ſagte: Dank, gute Nacht.
Es war mir aber gewaltſam, als wenn ſich die
Welt ruͤckwaͤrts drehte, und als wenn ein großer
Schatte uͤber das Sonnen-Feuer des Lebens kaͤ¬
me, da ich den Morgen zum Abend machen
muſte.“ So weit ſeine Worte.

Jzt ſtand der Notar ſtill, drehte ſich um,
eine lange Ebene hinter ihm ſchloſſen unbekannte
Berge zu; vor ihm ſtanden ſie wie Sturmbalken
der Gewitter, gehoͤrnt und geſpalten hinter den
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[158/0166] Ich blieb im Wirrwarr, obgleich die Sonne vielmehr fiel als ſtieg, bis ein junger hagerer Maler mit ſcharfen und ſchoͤnen Geſichts-Kno¬ chen und langen Beinen und Schritten und ei¬ nem der groͤßten Preuſſiſchen Huͤte vor mir da¬ hin voruͤber wollte, mit einer Mahler-Taſche in der Hand. „Guten Morgen, Freund, ſagt' ich, iſt das die Straſſe nach Roſenhof, und wie lange?“ Dort hinter den Huͤgeln liegt's gleich, Sie koͤnnen in einer Viertel-Stunde noch vor Sonnenuntergang ankommen, wenn die Faͤhre eben da iſt.“ Er entlief mit ſeinen gedachten Schritten und ich ſagte: Dank, gute Nacht. Es war mir aber gewaltſam, als wenn ſich die Welt ruͤckwaͤrts drehte, und als wenn ein großer Schatte uͤber das Sonnen-Feuer des Lebens kaͤ¬ me, da ich den Morgen zum Abend machen muſte.“ So weit ſeine Worte. Jzt ſtand der Notar ſtill, drehte ſich um, eine lange Ebene hinter ihm ſchloſſen unbekannte Berge zu; vor ihm ſtanden ſie wie Sturmbalken der Gewitter, gehoͤrnt und geſpalten hinter den Huͤgeln gen Himmel und die Berg-Rieſen tru¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/166>, abgerufen am 05.05.2024.