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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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mich eine Flöte beim Namen und mein Bruder
stehe dicht an meinem Bette. Ich schlug die Au¬
gen auf, allein ich hörte fast gewiß noch eine
Flöte. Ich wust' aber durchaus nicht, wo ich
war; ich sah die Baum-Gipfel mit Gluth-
Roth durchflossen; ich entsann mich endlich müh¬
sam der Abreise aus Jodiz und erschrack, daß
ich eine ganze Nacht und den prophezeieten Abend
in Rosenhof, hier verschlafen hätte; denn ich
hielt die Röthe für Morgenröthe. Ich drängte
mich durch den thauenden Wald hindurch und
auf meine Strasse hinaus -- ein prächtiges
Morgen-Land faltete vor mir die glühenden Flü¬
gel auf, und riß mein Herz in das allerheiterste
Reich. Weite Fichtenwälder waren an den Spi¬
zen gelbroth besäumt, freilich nur durch morden¬
de Fichtenraupen. Die liebe Sonne stand so,
daß es der Jahreszeit nach 53/4 Uhr am Mor¬
gen sein mochte, es war aber, die Wahrheit zu
sagen, 61/4 Uhr Abends. Indeß sah ich die Lin¬
denstädter Gebürge roth von der entgegenstehen¬
den Sonne übergossen, die eigentlich der östlichen
Lage nach über Ihnen stehen muste.

mich eine Floͤte beim Namen und mein Bruder
ſtehe dicht an meinem Bette. Ich ſchlug die Au¬
gen auf, allein ich hoͤrte faſt gewiß noch eine
Floͤte. Ich wuſt' aber durchaus nicht, wo ich
war; ich ſah die Baum-Gipfel mit Gluth-
Roth durchfloſſen; ich entſann mich endlich muͤh¬
ſam der Abreiſe aus Jodiz und erſchrack, daß
ich eine ganze Nacht und den prophezeieten Abend
in Roſenhof, hier verſchlafen haͤtte; denn ich
hielt die Roͤthe fuͤr Morgenroͤthe. Ich draͤngte
mich durch den thauenden Wald hindurch und
auf meine Straſſe hinaus — ein praͤchtiges
Morgen-Land faltete vor mir die gluͤhenden Fluͤ¬
gel auf, und riß mein Herz in das allerheiterſte
Reich. Weite Fichtenwaͤlder waren an den Spi¬
zen gelbroth beſaͤumt, freilich nur durch morden¬
de Fichtenraupen. Die liebe Sonne ſtand ſo,
daß es der Jahreszeit nach 5¾ Uhr am Mor¬
gen ſein mochte, es war aber, die Wahrheit zu
ſagen, 6¼ Uhr Abends. Indeß ſah ich die Lin¬
denſtaͤdter Gebuͤrge roth von der entgegenſtehen¬
den Sonne uͤbergoſſen, die eigentlich der oͤſtlichen
Lage nach uͤber Ihnen ſtehen muſte.

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[157/0165] mich eine Floͤte beim Namen und mein Bruder ſtehe dicht an meinem Bette. Ich ſchlug die Au¬ gen auf, allein ich hoͤrte faſt gewiß noch eine Floͤte. Ich wuſt' aber durchaus nicht, wo ich war; ich ſah die Baum-Gipfel mit Gluth- Roth durchfloſſen; ich entſann mich endlich muͤh¬ ſam der Abreiſe aus Jodiz und erſchrack, daß ich eine ganze Nacht und den prophezeieten Abend in Roſenhof, hier verſchlafen haͤtte; denn ich hielt die Roͤthe fuͤr Morgenroͤthe. Ich draͤngte mich durch den thauenden Wald hindurch und auf meine Straſſe hinaus — ein praͤchtiges Morgen-Land faltete vor mir die gluͤhenden Fluͤ¬ gel auf, und riß mein Herz in das allerheiterſte Reich. Weite Fichtenwaͤlder waren an den Spi¬ zen gelbroth beſaͤumt, freilich nur durch morden¬ de Fichtenraupen. Die liebe Sonne ſtand ſo, daß es der Jahreszeit nach 5¾ Uhr am Mor¬ gen ſein mochte, es war aber, die Wahrheit zu ſagen, 6¼ Uhr Abends. Indeß ſah ich die Lin¬ denſtaͤdter Gebuͤrge roth von der entgegenſtehen¬ den Sonne uͤbergoſſen, die eigentlich der oͤſtlichen Lage nach uͤber Ihnen ſtehen muſte.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/165>, abgerufen am 24.11.2024.