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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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"Die Felsen drängen sich einander entgegen,
und wollen sich mit den Gipfeln berühren und
die Bäume darauf langen wirklich einander die
Arme zu. Keine Farbe ist da als Grün und oben
etwas Blau. Der Vogel singt und nistet und
hüpft, nie gestört auf dem Boden, ausser von
mir. Kühle und Quellen wehen hier, kein Lüft¬
gen kann herein. Ein ewiger dunkler Morgen
ist da, jede Waldblume ist feucht, und der Mor¬
genthau lebt bis zum Abendthau. So heimlich
eingebauet, so sicher eingefasset ist das grüne
Stillleben hier, und ohne Band mit der Schöp¬
fung als durch einige Sonnenstrahlen, die Mit¬
tags die stille Stelle an den allgewaltigen Him¬
mel knüpfen. Sonderbar, daß gerade die Tiefe
so einsam ist, wie die Höhe. Auf dem Montblanc
fand Saussüre nichts als einen Tag- und einen
Nachtschmetterling, was mich sehr erfreuete. --
Am Ende wurde ich selber so still, als die Stelle,
und schlief ein. Ein Zaubertraum nach dem an¬
dern legte mir Flügel an, die bald wieder zu
grossen Blumenblättern wurden, auf denen ich
lag und schwankte. Endlich war mir, als rufe

„Die Felſen draͤngen ſich einander entgegen,
und wollen ſich mit den Gipfeln beruͤhren und
die Baͤume darauf langen wirklich einander die
Arme zu. Keine Farbe iſt da als Gruͤn und oben
etwas Blau. Der Vogel ſingt und niſtet und
huͤpft, nie geſtoͤrt auf dem Boden, auſſer von
mir. Kuͤhle und Quellen wehen hier, kein Luͤft¬
gen kann herein. Ein ewiger dunkler Morgen
iſt da, jede Waldblume iſt feucht, und der Mor¬
genthau lebt bis zum Abendthau. So heimlich
eingebauet, ſo ſicher eingefaſſet iſt das gruͤne
Stillleben hier, und ohne Band mit der Schoͤp¬
fung als durch einige Sonnenſtrahlen, die Mit¬
tags die ſtille Stelle an den allgewaltigen Him¬
mel knuͤpfen. Sonderbar, daß gerade die Tiefe
ſo einſam iſt, wie die Hoͤhe. Auf dem Montblanc
fand Sauſſuͤre nichts als einen Tag- und einen
Nachtſchmetterling, was mich ſehr erfreuete. —
Am Ende wurde ich ſelber ſo ſtill, als die Stelle,
und ſchlief ein. Ein Zaubertraum nach dem an¬
dern legte mir Fluͤgel an, die bald wieder zu
groſſen Blumenblaͤttern wurden, auf denen ich
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[156/0164] „Die Felſen draͤngen ſich einander entgegen, und wollen ſich mit den Gipfeln beruͤhren und die Baͤume darauf langen wirklich einander die Arme zu. Keine Farbe iſt da als Gruͤn und oben etwas Blau. Der Vogel ſingt und niſtet und huͤpft, nie geſtoͤrt auf dem Boden, auſſer von mir. Kuͤhle und Quellen wehen hier, kein Luͤft¬ gen kann herein. Ein ewiger dunkler Morgen iſt da, jede Waldblume iſt feucht, und der Mor¬ genthau lebt bis zum Abendthau. So heimlich eingebauet, ſo ſicher eingefaſſet iſt das gruͤne Stillleben hier, und ohne Band mit der Schoͤp¬ fung als durch einige Sonnenſtrahlen, die Mit¬ tags die ſtille Stelle an den allgewaltigen Him¬ mel knuͤpfen. Sonderbar, daß gerade die Tiefe ſo einſam iſt, wie die Hoͤhe. Auf dem Montblanc fand Sauſſuͤre nichts als einen Tag- und einen Nachtſchmetterling, was mich ſehr erfreuete. — Am Ende wurde ich ſelber ſo ſtill, als die Stelle, und ſchlief ein. Ein Zaubertraum nach dem an¬ dern legte mir Fluͤgel an, die bald wieder zu groſſen Blumenblaͤttern wurden, auf denen ich lag und ſchwankte. Endlich war mir, als rufe

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/164>, abgerufen am 24.11.2024.