den und Walt wohnte, wie ein Traum, nur in der Vergangenheit.
Er sang voll Seeligkeit und nannte ihren Namen nicht: "es zieht in schöner Nacht der Sternenhimmel, es zieht das Frühlings-Roth*), es schlägt die Nachtigall -- und der Mensch schläft und merkt es nicht; -- endlich geht sein Auge auf, und die Sonne sieht ihn an. O Lina, Lina, du giengst auch vorüber mit dei¬ nen Blumen -- mit den süssen Tönen -- und mit Liebe -- aber mein Auge war blind; nun ist es aufgethan, allein die Blumen sind ver¬ welkt, die Worte sind vergangen, und du glän¬ zest hoch als Sonne." --
Hier kehrte er um vor dem lauten Wehen; er fand die Welt sonderbar still um sich; nur das Geläute klang allein und leise, wie Schal¬ meien der Kindheit, und er wurde sehr bewegt. Er lief wieder und sang immer heisser: "nasses Auge, armes Herz, siehst du nicht den Himmel und den Lenz und das schöne Leben? Warum
*) Die Abendröthe in Norden.
den und Walt wohnte, wie ein Traum, nur in der Vergangenheit.
Er ſang voll Seeligkeit und nannte ihren Namen nicht: „es zieht in ſchoͤner Nacht der Sternenhimmel, es zieht das Fruͤhlings-Roth*), es ſchlaͤgt die Nachtigall — und der Menſch ſchlaͤft und merkt es nicht; — endlich geht ſein Auge auf, und die Sonne ſieht ihn an. O Lina, Lina, du giengſt auch voruͤber mit dei¬ nen Blumen — mit den ſuͤſſen Toͤnen — und mit Liebe — aber mein Auge war blind; nun iſt es aufgethan, allein die Blumen ſind ver¬ welkt, die Worte ſind vergangen, und du glaͤn¬ zeſt hoch als Sonne.“ —
Hier kehrte er um vor dem lauten Wehen; er fand die Welt ſonderbar ſtill um ſich; nur das Gelaͤute klang allein und leiſe, wie Schal¬ meien der Kindheit, und er wurde ſehr bewegt. Er lief wieder und ſang immer heiſſer: „naſſes Auge, armes Herz, ſiehſt du nicht den Himmel und den Lenz und das ſchoͤne Leben? Warum
*) Die Abendroͤthe in Norden.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0104"n="96"/>
den und Walt wohnte, wie ein Traum, nur in<lb/>
der Vergangenheit.</p><lb/><p>Er ſang voll Seeligkeit und nannte <hirendition="#g">ihren</hi><lb/>
Namen nicht: „es zieht in ſchoͤner Nacht der<lb/>
Sternenhimmel, es zieht das Fruͤhlings-Roth<noteplace="foot"n="*)">Die Abendroͤthe in Norden.<lb/></note>,<lb/>
es ſchlaͤgt die Nachtigall — und der Menſch<lb/>ſchlaͤft und merkt es nicht; — endlich geht ſein<lb/>
Auge auf, und die Sonne ſieht ihn an. O<lb/>
Lina, Lina, du giengſt auch voruͤber mit dei¬<lb/>
nen Blumen — mit den ſuͤſſen Toͤnen — und<lb/>
mit Liebe — aber mein Auge war blind; nun<lb/>
iſt es aufgethan, allein die Blumen ſind ver¬<lb/>
welkt, die Worte ſind vergangen, und du glaͤn¬<lb/>
zeſt hoch als Sonne.“—</p><lb/><p>Hier kehrte er um vor dem lauten Wehen;<lb/>
er fand die Welt ſonderbar ſtill um ſich; nur<lb/>
das Gelaͤute klang allein und leiſe, wie Schal¬<lb/>
meien der Kindheit, und er wurde ſehr bewegt.<lb/>
Er lief wieder und ſang immer heiſſer: „naſſes<lb/>
Auge, armes Herz, ſiehſt du nicht den Himmel<lb/>
und den Lenz und das ſchoͤne Leben? Warum<lb/></p></div></body></text></TEI>
[96/0104]
den und Walt wohnte, wie ein Traum, nur in
der Vergangenheit.
Er ſang voll Seeligkeit und nannte ihren
Namen nicht: „es zieht in ſchoͤner Nacht der
Sternenhimmel, es zieht das Fruͤhlings-Roth *),
es ſchlaͤgt die Nachtigall — und der Menſch
ſchlaͤft und merkt es nicht; — endlich geht ſein
Auge auf, und die Sonne ſieht ihn an. O
Lina, Lina, du giengſt auch voruͤber mit dei¬
nen Blumen — mit den ſuͤſſen Toͤnen — und
mit Liebe — aber mein Auge war blind; nun
iſt es aufgethan, allein die Blumen ſind ver¬
welkt, die Worte ſind vergangen, und du glaͤn¬
zeſt hoch als Sonne.“ —
Hier kehrte er um vor dem lauten Wehen;
er fand die Welt ſonderbar ſtill um ſich; nur
das Gelaͤute klang allein und leiſe, wie Schal¬
meien der Kindheit, und er wurde ſehr bewegt.
Er lief wieder und ſang immer heiſſer: „naſſes
Auge, armes Herz, ſiehſt du nicht den Himmel
und den Lenz und das ſchoͤne Leben? Warum
*) Die Abendroͤthe in Norden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/104>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.