Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.Darauf sah er gen Himmel, nannte Gott Darauf ſah er gen Himmel, nannte Gott <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0103" n="95"/> <p>Darauf ſah er gen Himmel, nannte Gott<lb/> zweimal du und ſchwieg lange; und hielt es fuͤr<lb/> erlaubt, ſogleich an Wina zu denken. Ploͤzlich<lb/> kam ein altes vertrautes, aber wunderbares Mit¬<lb/> tagsgelaͤute aus den Fernen heruͤber, ein altes<lb/> Toͤnen wie aus dem geſtirnten Morgen dunkler<lb/> Kindheit; ſiehe Meilen-tief in Weſten ſah er<lb/> Elterlein hinter unzaͤhligen Doͤrfern liegen und<lb/> glaubte die alte Dorf-Glocke zu erkennen, und<lb/> Winas weiſſes Bergſchloß, ja ſogar das elterliche<lb/> Haus. Er dachte voll Sehnen an ſeine fernen<lb/> Eltern — an das Stillleben der Kindheit — und<lb/> an die ſanfte Wina, die ihm, auch im Stillle¬<lb/> ben ihrer Kindheit, einſt die Aurikeln in die Hand<lb/> gelegt — ſein Auge hieng an den oͤſtlichen Ge¬<lb/> buͤrgen im ſtillen Blau, hinter welche er wie hin¬<lb/> ter Kloſtermauern Wina als ſanfte Nonne in<lb/> Blumen ihres Kloſter-Gartens ſinnend gehen<lb/> ließ. Glocken aus mehreren Doͤrfern toͤnten zu¬<lb/> ſammen — der Morgenwind rauſchte ſtaͤrker —<lb/> der Himmel wurde blauer und reiner — der bun¬<lb/> te! leichte Teppich des Erdenlebens breitete ſich<lb/> uͤber die Gegend aus, und flatterte an den En¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [95/0103]
Darauf ſah er gen Himmel, nannte Gott
zweimal du und ſchwieg lange; und hielt es fuͤr
erlaubt, ſogleich an Wina zu denken. Ploͤzlich
kam ein altes vertrautes, aber wunderbares Mit¬
tagsgelaͤute aus den Fernen heruͤber, ein altes
Toͤnen wie aus dem geſtirnten Morgen dunkler
Kindheit; ſiehe Meilen-tief in Weſten ſah er
Elterlein hinter unzaͤhligen Doͤrfern liegen und
glaubte die alte Dorf-Glocke zu erkennen, und
Winas weiſſes Bergſchloß, ja ſogar das elterliche
Haus. Er dachte voll Sehnen an ſeine fernen
Eltern — an das Stillleben der Kindheit — und
an die ſanfte Wina, die ihm, auch im Stillle¬
ben ihrer Kindheit, einſt die Aurikeln in die Hand
gelegt — ſein Auge hieng an den oͤſtlichen Ge¬
buͤrgen im ſtillen Blau, hinter welche er wie hin¬
ter Kloſtermauern Wina als ſanfte Nonne in
Blumen ihres Kloſter-Gartens ſinnend gehen
ließ. Glocken aus mehreren Doͤrfern toͤnten zu¬
ſammen — der Morgenwind rauſchte ſtaͤrker —
der Himmel wurde blauer und reiner — der bun¬
te! leichte Teppich des Erdenlebens breitete ſich
uͤber die Gegend aus, und flatterte an den En¬
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/103>, abgerufen am 31.07.2024. |