gelte und das Silber-Schild der Sonne trug und immer zeigte -- und da er das Auge auf die Lindenstädter Gebürge warf, wo unter den hohen hellen Laubholzwäldern die dunklen Tan¬ nen-Waldungen gleichsam nur als breite Schlag¬ schatten zu stehen schienen -- und da er in den Himmel sah, worin still und leicht die Wolke und die Taube flog -- und da in den Wäldern des Thals die Herbstvögel schrien, und in den Steinbrüchen einzelne Schüsse lang fort halleten: so schwieg er wie aus Andacht vor Gott, und dachte dem, was er singen wollte nach, als ob der Unendliche nicht auch das Denken höre; bis er mit leiser Stimme den Strekvers sang und wiederhohlte, den er schon längst gemacht:
O wie ist der Himmel, wie die Erde so voll freudiger Stimmen! Viel schöner als dort, wo einstens der Chorus laut jammerte, und nur Niobe schwieg und unter dem Schleier stand mit dem unendlichem Weh, jauchzen die Chö¬ re im Himmel und auf Erden, und nur der Allseelige ist still, und der Aether verschleiert ihn.
gelte und das Silber-Schild der Sonne trug und immer zeigte — und da er das Auge auf die Lindenſtaͤdter Gebuͤrge warf, wo unter den hohen hellen Laubholzwaͤldern die dunklen Tan¬ nen-Waldungen gleichſam nur als breite Schlag¬ ſchatten zu ſtehen ſchienen — und da er in den Himmel ſah, worin ſtill und leicht die Wolke und die Taube flog — und da in den Waͤldern des Thals die Herbſtvoͤgel ſchrien, und in den Steinbruͤchen einzelne Schuͤſſe lang fort halleten: ſo ſchwieg er wie aus Andacht vor Gott, und dachte dem, was er ſingen wollte nach, als ob der Unendliche nicht auch das Denken hoͤre; bis er mit leiſer Stimme den Strekvers ſang und wiederhohlte, den er ſchon laͤngſt gemacht:
O wie iſt der Himmel, wie die Erde ſo voll freudiger Stimmen! Viel ſchoͤner als dort, wo einſtens der Chorus laut jammerte, und nur Niobe ſchwieg und unter dem Schleier ſtand mit dem unendlichem Weh, jauchzen die Choͤ¬ re im Himmel und auf Erden, und nur der Allſeelige iſt ſtill, und der Aether verſchleiert ihn.
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gelte und das Silber-Schild der Sonne trug
und immer zeigte — und da er das Auge auf
die Lindenſtaͤdter Gebuͤrge warf, wo unter den
hohen hellen Laubholzwaͤldern die dunklen Tan¬
nen-Waldungen gleichſam nur als breite Schlag¬
ſchatten zu ſtehen ſchienen — und da er in den
Himmel ſah, worin ſtill und leicht die Wolke
und die Taube flog — und da in den Waͤldern
des Thals die Herbſtvoͤgel ſchrien, und in den
Steinbruͤchen einzelne Schuͤſſe lang fort halleten:
ſo ſchwieg er wie aus Andacht vor Gott, und
dachte dem, was er ſingen wollte nach, als ob
der Unendliche nicht auch das Denken hoͤre; bis
er mit leiſer Stimme den Strekvers ſang und
wiederhohlte, den er ſchon laͤngſt gemacht:
O wie iſt der Himmel, wie die Erde ſo
voll freudiger Stimmen! Viel ſchoͤner als dort,
wo einſtens der Chorus laut jammerte, und nur
Niobe ſchwieg und unter dem Schleier ſtand
mit dem unendlichem Weh, jauchzen die Choͤ¬
re im Himmel und auf Erden, und nur der
Allſeelige iſt ſtill, und der Aether verſchleiert
ihn.
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/102>, abgerufen am 31.07.2024.
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