Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

Vult nahm keinen so spaßhaften Antheil am
Wirthe als er sonst gethan hätte; er erstaunte
ganz, daß er unter der Hand ordentlich in eine
heftige Sehnsucht nach Eltern und Bruder, be¬
sonders nach der Mutter hineingerathen war,
"was doch, sagt' er, auf der ganzen Reise gar
nicht mein Fall gewesen." Es war ihm er¬
wünscht, daß ihn der Wirth beim Aermel ergrif,
um ihm den Pfalzgrafen zu zeigen, der eben in
des Schulzen Haus, aber ohne Gottwalt gieng;
Vult eilte aus seinem, um drüben alles zu sehen.

Draussen fand er das Dorf so voll Dämme¬
rung, daß ihm war als stek' er selber wieder in
der helldunkeln Kinderzeit, und die ältesten Ge¬
fühle flatterten unter den Nachtschmetterlingen.
Hart am Stege watete er durch den alten lieben
Bach, worinn er sonst breite Steine aufgezogen,
um eine Grundel zu greifen. Er machte einen
BogenUmweg durch ferne Bauernhöfe, um hin¬
ter den Gärten dem Hause in den Rüken zu kom¬
men. Endlich kam er ans Bakofenfenster und
blikte in die breite zweiherrige Gränzstube -- keine
Seele war darinn, die einer schreienden Grille

Vult nahm keinen ſo ſpaßhaften Antheil am
Wirthe als er ſonſt gethan haͤtte; er erſtaunte
ganz, daß er unter der Hand ordentlich in eine
heftige Sehnſucht nach Eltern und Bruder, be¬
ſonders nach der Mutter hineingerathen war,
„was doch, ſagt' er, auf der ganzen Reiſe gar
nicht mein Fall geweſen.“ Es war ihm er¬
wuͤnſcht, daß ihn der Wirth beim Aermel ergrif,
um ihm den Pfalzgrafen zu zeigen, der eben in
des Schulzen Haus, aber ohne Gottwalt gieng;
Vult eilte aus ſeinem, um druͤben alles zu ſehen.

Drauſſen fand er das Dorf ſo voll Daͤmme¬
rung, daß ihm war als ſtek' er ſelber wieder in
der helldunkeln Kinderzeit, und die aͤlteſten Ge¬
fuͤhle flatterten unter den Nachtſchmetterlingen.
Hart am Stege watete er durch den alten lieben
Bach, worinn er ſonſt breite Steine aufgezogen,
um eine Grundel zu greifen. Er machte einen
BogenUmweg durch ferne Bauernhoͤfe, um hin¬
ter den Gaͤrten dem Hauſe in den Ruͤken zu kom¬
men. Endlich kam er ans Bakofenfenſter und
blikte in die breite zweiherrige Graͤnzſtube — keine
Seele war darinn, die einer ſchreienden Grille

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0093" n="83"/>
        <p>Vult nahm keinen &#x017F;o &#x017F;paßhaften Antheil am<lb/>
Wirthe als er &#x017F;on&#x017F;t gethan ha&#x0364;tte; er er&#x017F;taunte<lb/>
ganz, daß er unter der Hand ordentlich in eine<lb/>
heftige Sehn&#x017F;ucht nach Eltern und Bruder, be¬<lb/>
&#x017F;onders nach der Mutter hineingerathen war,<lb/>
&#x201E;was doch, &#x017F;agt' er, auf der ganzen Rei&#x017F;e gar<lb/>
nicht mein Fall gewe&#x017F;en.&#x201C; Es war ihm er¬<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;cht, daß ihn der Wirth beim Aermel ergrif,<lb/>
um ihm den Pfalzgrafen zu zeigen, der eben in<lb/>
des Schulzen Haus, aber ohne Gottwalt gieng;<lb/>
Vult eilte aus &#x017F;einem, um dru&#x0364;ben alles zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Drau&#x017F;&#x017F;en fand er das Dorf &#x017F;o voll Da&#x0364;mme¬<lb/>
rung, daß ihm war als &#x017F;tek' er &#x017F;elber wieder in<lb/>
der helldunkeln Kinderzeit, und die a&#x0364;lte&#x017F;ten Ge¬<lb/>
fu&#x0364;hle flatterten unter den Nacht&#x017F;chmetterlingen.<lb/>
Hart am Stege watete er durch den alten lieben<lb/>
Bach, worinn er &#x017F;on&#x017F;t breite Steine aufgezogen,<lb/>
um eine Grundel zu greifen. Er machte einen<lb/>
BogenUmweg durch ferne Bauernho&#x0364;fe, um hin¬<lb/>
ter den Ga&#x0364;rten dem Hau&#x017F;e in den Ru&#x0364;ken zu kom¬<lb/>
men. Endlich kam er ans Bakofenfen&#x017F;ter und<lb/>
blikte in die breite zweiherrige Gra&#x0364;nz&#x017F;tube &#x2014; keine<lb/>
Seele war darinn, die einer &#x017F;chreienden Grille<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0093] Vult nahm keinen ſo ſpaßhaften Antheil am Wirthe als er ſonſt gethan haͤtte; er erſtaunte ganz, daß er unter der Hand ordentlich in eine heftige Sehnſucht nach Eltern und Bruder, be¬ ſonders nach der Mutter hineingerathen war, „was doch, ſagt' er, auf der ganzen Reiſe gar nicht mein Fall geweſen.“ Es war ihm er¬ wuͤnſcht, daß ihn der Wirth beim Aermel ergrif, um ihm den Pfalzgrafen zu zeigen, der eben in des Schulzen Haus, aber ohne Gottwalt gieng; Vult eilte aus ſeinem, um druͤben alles zu ſehen. Drauſſen fand er das Dorf ſo voll Daͤmme¬ rung, daß ihm war als ſtek' er ſelber wieder in der helldunkeln Kinderzeit, und die aͤlteſten Ge¬ fuͤhle flatterten unter den Nachtſchmetterlingen. Hart am Stege watete er durch den alten lieben Bach, worinn er ſonſt breite Steine aufgezogen, um eine Grundel zu greifen. Er machte einen BogenUmweg durch ferne Bauernhoͤfe, um hin¬ ter den Gaͤrten dem Hauſe in den Ruͤken zu kom¬ men. Endlich kam er ans Bakofenfenſter und blikte in die breite zweiherrige Graͤnzſtube — keine Seele war darinn, die einer ſchreienden Grille

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/93
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/93>, abgerufen am 06.05.2024.