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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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weil er in der That ein kleiner Kaplan und Küster,
nämlich dessen Koadjutorie war, insofern er die
schwarze Bibel gern auf die Kanzel trüg, das
Kommunikantentüchlein am Altare den Oblaten
und dem Kelche unterhielt, allein den Nachmit¬
tagsgottesdienst, wenn Schomaker sich nach Hau¬
se geschlichen, hinausorgelte und ein fleissiger Kir¬
chengänger bei Wochentaufen war. Ja, sah A¬
bends der Pfarrer nach dem Studieren mit Mü¬
ze und Pfeife aus dem Fenster, so hofft' er nicht
zurück zu bleiben, wenn er sich mit einer leeren
kalten Pfeife und weissen Müze an seines legte,
welche leztere dem Knabengesicht ein zu altväteri¬
sches Ansehen gab. Nahm er nicht einmal an ei¬
nem Winterabend ein Gesangbuch unter den Arm
und stattete, wie der Pfarrer, bei einer ihm ganz
gleichgültigen, arthritischen, steinalten Schnei¬
dersfrau einen ordentlichen Krankenbesuch ab und
fieng an, aus dem Liede: O Ewigkeit, du Freu¬
denwort, ihr vorzulesen? Und must' er nicht schon
bei dem zweiten Verse den Aktus einstellen, weil
ihn Thränen übermannten, nicht über die taube,
trokne Frau, sondern über den Aktus?

weil er in der That ein kleiner Kaplan und Kuͤſter,
naͤmlich deſſen Koadjutorie war, inſofern er die
ſchwarze Bibel gern auf die Kanzel truͤg, das
Kommunikantentuͤchlein am Altare den Oblaten
und dem Kelche unterhielt, allein den Nachmit¬
tagsgottesdienſt, wenn Schomaker ſich nach Hau¬
ſe geſchlichen, hinausorgelte und ein fleiſſiger Kir¬
chengaͤnger bei Wochentaufen war. Ja, ſah A¬
bends der Pfarrer nach dem Studieren mit Muͤ¬
ze und Pfeife aus dem Fenſter, ſo hofft' er nicht
zuruͤck zu bleiben, wenn er ſich mit einer leeren
kalten Pfeife und weiſſen Muͤze an ſeines legte,
welche leztere dem Knabengeſicht ein zu altvaͤteri¬
ſches Anſehen gab. Nahm er nicht einmal an ei¬
nem Winterabend ein Geſangbuch unter den Arm
und ſtattete, wie der Pfarrer, bei einer ihm ganz
gleichguͤltigen, arthritiſchen, ſteinalten Schnei¬
dersfrau einen ordentlichen Krankenbeſuch ab und
fieng an, aus dem Liede: O Ewigkeit, du Freu¬
denwort, ihr vorzuleſen? Und muſt' er nicht ſchon
bei dem zweiten Verſe den Aktus einſtellen, weil
ihn Thraͤnen uͤbermannten, nicht uͤber die taube,
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[64/0074] weil er in der That ein kleiner Kaplan und Kuͤſter, naͤmlich deſſen Koadjutorie war, inſofern er die ſchwarze Bibel gern auf die Kanzel truͤg, das Kommunikantentuͤchlein am Altare den Oblaten und dem Kelche unterhielt, allein den Nachmit¬ tagsgottesdienſt, wenn Schomaker ſich nach Hau¬ ſe geſchlichen, hinausorgelte und ein fleiſſiger Kir¬ chengaͤnger bei Wochentaufen war. Ja, ſah A¬ bends der Pfarrer nach dem Studieren mit Muͤ¬ ze und Pfeife aus dem Fenſter, ſo hofft' er nicht zuruͤck zu bleiben, wenn er ſich mit einer leeren kalten Pfeife und weiſſen Muͤze an ſeines legte, welche leztere dem Knabengeſicht ein zu altvaͤteri¬ ſches Anſehen gab. Nahm er nicht einmal an ei¬ nem Winterabend ein Geſangbuch unter den Arm und ſtattete, wie der Pfarrer, bei einer ihm ganz gleichguͤltigen, arthritiſchen, ſteinalten Schnei¬ dersfrau einen ordentlichen Krankenbeſuch ab und fieng an, aus dem Liede: O Ewigkeit, du Freu¬ denwort, ihr vorzuleſen? Und muſt' er nicht ſchon bei dem zweiten Verſe den Aktus einſtellen, weil ihn Thraͤnen uͤbermannten, nicht uͤber die taube, trokne Frau, ſondern uͤber den Aktus?

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/74>, abgerufen am 06.05.2024.