Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

durch die in wenigen Wochen aus Beeten und Ae¬
sten hervorgezogne hohe Blüten- und Blätterfül¬
le fliegen.

Daß ein solcher längster Tag noch kürzer als
ein kürzester verfliege, ist leicht zu denken, bei so
viel Sonne, Aether, Blüthe und Muße. Schon
nach 8 Uhr Abends bricht die Gesellschaft auf --
die Sonne brennt sanfter über den halb geschlossenen
schläfrigen Blumen -- um 9 Uhr hat sie ihre
Strahlen abgenommen, und badet nakt im Blau
-- gegen 10 Uhr, wo die Gesellschaft im Pfarr¬
dorfe wieder ankommt, wird der Pfarrer seltsam
bewegt und weich gemacht, weil im Dorfe, ob
gleich die tiefe laue Sonne noch ein müdes Roth
um die Häuser und an die Scheiben legt, alles
schon still und in tiefem Schlafe liegt, so wie
auch die Vögel in den gelb- dämmernden Gipfeln
schlummern, bis zulezt die Sonne selber, wie ein
Mond, einsam untergeht in der Stille der Welt.
Dem romantisch bekleideten Pfarrer ist, als sei
jezt ein rosenfarbnes Reich aufgethan, worin
Feen und Geister herum gehen, und ihn würd'
es wenig wundern, wenn in dieser goldnen Gei¬
sterstunde auf einmal sein in der Kindheit entlauf¬

durch die in wenigen Wochen aus Beeten und Ae¬
ſten hervorgezogne hohe Bluͤten- und Blaͤtterfuͤl¬
le fliegen.

Daß ein ſolcher laͤngſter Tag noch kuͤrzer als
ein kuͤrzeſter verfliege, iſt leicht zu denken, bei ſo
viel Sonne, Aether, Bluͤthe und Muße. Schon
nach 8 Uhr Abends bricht die Geſellſchaft auf —
die Sonne brennt ſanfter uͤber den halb geſchloſſenen
ſchlaͤfrigen Blumen — um 9 Uhr hat ſie ihre
Strahlen abgenommen, und badet nakt im Blau
— gegen 10 Uhr, wo die Geſellſchaft im Pfarr¬
dorfe wieder ankommt, wird der Pfarrer ſeltſam
bewegt und weich gemacht, weil im Dorfe, ob
gleich die tiefe laue Sonne noch ein muͤdes Roth
um die Haͤuſer und an die Scheiben legt, alles
ſchon ſtill und in tiefem Schlafe liegt, ſo wie
auch die Voͤgel in den gelb- daͤmmernden Gipfeln
ſchlummern, bis zulezt die Sonne ſelber, wie ein
Mond, einſam untergeht in der Stille der Welt.
Dem romantiſch bekleideten Pfarrer iſt, als ſei
jezt ein roſenfarbnes Reich aufgethan, worin
Feen und Geiſter herum gehen, und ihn wuͤrd'
es wenig wundern, wenn in dieſer goldnen Gei¬
ſterſtunde auf einmal ſein in der Kindheit entlauf¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="39"/>
durch die in wenigen Wochen aus Beeten und Ae¬<lb/>
&#x017F;ten hervorgezogne hohe Blu&#x0364;ten- und Bla&#x0364;tterfu&#x0364;<lb/>
le fliegen.</p><lb/>
        <p>Daß ein &#x017F;olcher la&#x0364;ng&#x017F;ter Tag noch ku&#x0364;rzer als<lb/>
ein ku&#x0364;rze&#x017F;ter verfliege, i&#x017F;t leicht zu denken, bei &#x017F;o<lb/>
viel Sonne, Aether, Blu&#x0364;the und Muße. Schon<lb/>
nach 8 Uhr Abends bricht die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft auf &#x2014;<lb/>
die Sonne brennt &#x017F;anfter u&#x0364;ber den halb ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;frigen Blumen &#x2014; um 9 Uhr hat &#x017F;ie ihre<lb/>
Strahlen abgenommen, und badet nakt im Blau<lb/>
&#x2014; gegen 10 Uhr, wo die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft im Pfarr¬<lb/>
dorfe wieder ankommt, wird der Pfarrer &#x017F;elt&#x017F;am<lb/>
bewegt und weich gemacht, weil im Dorfe, ob<lb/>
gleich die tiefe laue Sonne noch ein mu&#x0364;des Roth<lb/>
um die Ha&#x0364;u&#x017F;er und an die Scheiben legt, alles<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;till und in tiefem Schlafe liegt, &#x017F;o wie<lb/>
auch die Vo&#x0364;gel in den gelb- da&#x0364;mmernden Gipfeln<lb/>
&#x017F;chlummern, bis zulezt die Sonne &#x017F;elber, wie ein<lb/>
Mond, ein&#x017F;am untergeht in der Stille der Welt.<lb/>
Dem romanti&#x017F;ch bekleideten Pfarrer i&#x017F;t, als &#x017F;ei<lb/>
jezt ein ro&#x017F;enfarbnes Reich aufgethan, worin<lb/>
Feen und Gei&#x017F;ter herum gehen, und ihn wu&#x0364;rd'<lb/>
es wenig wundern, wenn in die&#x017F;er goldnen Gei¬<lb/>
&#x017F;ter&#x017F;tunde auf einmal &#x017F;ein in der Kindheit entlauf¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0049] durch die in wenigen Wochen aus Beeten und Ae¬ ſten hervorgezogne hohe Bluͤten- und Blaͤtterfuͤl¬ le fliegen. Daß ein ſolcher laͤngſter Tag noch kuͤrzer als ein kuͤrzeſter verfliege, iſt leicht zu denken, bei ſo viel Sonne, Aether, Bluͤthe und Muße. Schon nach 8 Uhr Abends bricht die Geſellſchaft auf — die Sonne brennt ſanfter uͤber den halb geſchloſſenen ſchlaͤfrigen Blumen — um 9 Uhr hat ſie ihre Strahlen abgenommen, und badet nakt im Blau — gegen 10 Uhr, wo die Geſellſchaft im Pfarr¬ dorfe wieder ankommt, wird der Pfarrer ſeltſam bewegt und weich gemacht, weil im Dorfe, ob gleich die tiefe laue Sonne noch ein muͤdes Roth um die Haͤuſer und an die Scheiben legt, alles ſchon ſtill und in tiefem Schlafe liegt, ſo wie auch die Voͤgel in den gelb- daͤmmernden Gipfeln ſchlummern, bis zulezt die Sonne ſelber, wie ein Mond, einſam untergeht in der Stille der Welt. Dem romantiſch bekleideten Pfarrer iſt, als ſei jezt ein roſenfarbnes Reich aufgethan, worin Feen und Geiſter herum gehen, und ihn wuͤrd' es wenig wundern, wenn in dieſer goldnen Gei¬ ſterſtunde auf einmal ſein in der Kindheit entlauf¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/49
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/49>, abgerufen am 29.03.2024.