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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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Muthe, und auf sein liebe-quellendes Herz ver¬
trauend -- wollten wir uns leicht, falls wir uns
erst hätten." -- Er wäre gern zu seinem Bruder
gegangen, um sowohl das dürstende Herz an
dessen Brust zu kühlen, als ihn über den schö¬
nen Jüngling auszufragen; aber Vult hatte ihn
gebeten, der Spionen wegen und besonders vor
dem Blinden- Konzert den Besuch viel lieber an¬
zunehmen als abzustatten.

Mitten aus dem heiligen Opferfeuer rief ihn
der Hofagent Neupeter in seine dunkle Schreib-
Stube hinein, damit er darin vor dem Essen
einige Wechsel protestierte. Wie an einem Käfer,
der erst vom Fluge gekommen, hiengen an ihm
die Flügel noch lang unter den Flügeldecken her¬
aus; aber er protestierte doch mit wahrer Lust,
es war sein erster Notariats- Aktus; und --
was ihm noch mehr galt -- seine erste Dank¬
handlung gegen den Agenten. Nichts wurde
ihm länger und lästiger als das erste Vier¬
teljahr, worinn ein Mensch ihn beherbergte,
oder bediente, oder beköstigte, blos weil ihm
der Mensch so viele Dienste und Mühen vorschos,

Muthe, und auf ſein liebe-quellendes Herz ver¬
trauend — wollten wir uns leicht, falls wir uns
erſt haͤtten.“ — Er waͤre gern zu ſeinem Bruder
gegangen, um ſowohl das duͤrſtende Herz an
deſſen Bruſt zu kuͤhlen, als ihn uͤber den ſchoͤ¬
nen Juͤngling auszufragen; aber Vult hatte ihn
gebeten, der Spionen wegen und beſonders vor
dem Blinden- Konzert den Beſuch viel lieber an¬
zunehmen als abzuſtatten.

Mitten aus dem heiligen Opferfeuer rief ihn
der Hofagent Neupeter in ſeine dunkle Schreib-
Stube hinein, damit er darin vor dem Eſſen
einige Wechſel proteſtierte. Wie an einem Kaͤfer,
der erſt vom Fluge gekommen, hiengen an ihm
die Fluͤgel noch lang unter den Fluͤgeldecken her¬
aus; aber er proteſtierte doch mit wahrer Luſt,
es war ſein erſter Notariats- Aktus; und —
was ihm noch mehr galt — ſeine erſte Dank¬
handlung gegen den Agenten. Nichts wurde
ihm laͤnger und laͤſtiger als das erſte Vier¬
teljahr, worinn ein Menſch ihn beherbergte,
oder bediente, oder bekoͤſtigte, blos weil ihm
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[213/0223] Muthe, und auf ſein liebe-quellendes Herz ver¬ trauend — wollten wir uns leicht, falls wir uns erſt haͤtten.“ — Er waͤre gern zu ſeinem Bruder gegangen, um ſowohl das duͤrſtende Herz an deſſen Bruſt zu kuͤhlen, als ihn uͤber den ſchoͤ¬ nen Juͤngling auszufragen; aber Vult hatte ihn gebeten, der Spionen wegen und beſonders vor dem Blinden- Konzert den Beſuch viel lieber an¬ zunehmen als abzuſtatten. Mitten aus dem heiligen Opferfeuer rief ihn der Hofagent Neupeter in ſeine dunkle Schreib- Stube hinein, damit er darin vor dem Eſſen einige Wechſel proteſtierte. Wie an einem Kaͤfer, der erſt vom Fluge gekommen, hiengen an ihm die Fluͤgel noch lang unter den Fluͤgeldecken her¬ aus; aber er proteſtierte doch mit wahrer Luſt, es war ſein erſter Notariats- Aktus; und — was ihm noch mehr galt — ſeine erſte Dank¬ handlung gegen den Agenten. Nichts wurde ihm laͤnger und laͤſtiger als das erſte Vier¬ teljahr, worinn ein Menſch ihn beherbergte, oder bediente, oder bekoͤſtigte, blos weil ihm der Menſch ſo viele Dienſte und Muͤhen vorſchos,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/223>, abgerufen am 03.05.2024.