Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

von der schneeweißen Bogenstirn den Hut lüftete,
und wie im Morgenwehen seine Locken das zarte
mit Rosenblute durchgossene kindliche Gesicht an¬
flatterten, und wie seine Augen so liebend und
anspruchlos auf alle Menschen sanken, sogar auf
das Siebengestirn. Gleichwohl konnte Vult den
Spott über das Pferd nicht lassen: der Gaul,
sagt' er mit seinen schwarzen Augen auf den Bru¬
der blizend und die Mähne streichelnd, geht bes¬
ser, als er aussieht; wie ein Musenpferd schwang
er sich über das Dorf. -- Ach das arme Thier!
sagte Walt mitleidig, und entwafnete Vulten.

Sämmtliche Passagiere tranken im Freien --
die Pilgrimme giengen singend durchs Dorf --
alle Thiere auf dem Dorfe und in der Luft wie¬
herten und kräheten vor Lust -- der kühlende
Nord-Ost durchblätterte den Obstgarten, und
rauschte allen gesunden Herzen zu: weiter hinaus
ins freie weite Leben! -- "Ein sehr göttlicher
Tag, sagte Vult, verzeihen Sie, mein Herr!"
Walt sah ihn blöde an, und sagte doch heftig:
"o gewis mein Herr! Die ganze Natur stimmt
ordentlich ein jubelndes Herzerfrischendes Jagd¬

von der ſchneeweißen Bogenſtirn den Hut luͤftete,
und wie im Morgenwehen ſeine Locken das zarte
mit Roſenblute durchgoſſene kindliche Geſicht an¬
flatterten, und wie ſeine Augen ſo liebend und
anſpruchlos auf alle Menſchen ſanken, ſogar auf
das Siebengeſtirn. Gleichwohl konnte Vult den
Spott uͤber das Pferd nicht laſſen: der Gaul,
ſagt' er mit ſeinen ſchwarzen Augen auf den Bru¬
der blizend und die Maͤhne ſtreichelnd, geht beſ¬
ſer, als er ausſieht; wie ein Muſenpferd ſchwang
er ſich uͤber das Dorf. — Ach das arme Thier!
ſagte Walt mitleidig, und entwafnete Vulten.

Saͤmmtliche Paſſagiere tranken im Freien —
die Pilgrimme giengen ſingend durchs Dorf —
alle Thiere auf dem Dorfe und in der Luft wie¬
herten und kraͤheten vor Luſt — der kuͤhlende
Nord-Oſt durchblaͤtterte den Obſtgarten, und
rauſchte allen geſunden Herzen zu: weiter hinaus
ins freie weite Leben! — „Ein ſehr goͤttlicher
Tag, ſagte Vult, verzeihen Sie, mein Herr!“
Walt ſah ihn bloͤde an, und ſagte doch heftig:
„o gewis mein Herr! Die ganze Natur ſtimmt
ordentlich ein jubelndes Herzerfriſchendes Jagd¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0146" n="136"/>
von der &#x017F;chneeweißen Bogen&#x017F;tirn den Hut lu&#x0364;ftete,<lb/>
und wie im Morgenwehen &#x017F;eine Locken das zarte<lb/>
mit Ro&#x017F;enblute durchgo&#x017F;&#x017F;ene kindliche Ge&#x017F;icht an¬<lb/>
flatterten, und wie &#x017F;eine Augen &#x017F;o liebend und<lb/>
an&#x017F;pruchlos auf alle Men&#x017F;chen &#x017F;anken, &#x017F;ogar auf<lb/>
das Siebenge&#x017F;tirn. Gleichwohl konnte Vult den<lb/>
Spott u&#x0364;ber das Pferd nicht la&#x017F;&#x017F;en: der Gaul,<lb/>
&#x017F;agt' er mit &#x017F;einen &#x017F;chwarzen Augen auf den Bru¬<lb/>
der blizend und die Ma&#x0364;hne &#x017F;treichelnd, geht be&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;er, als er aus&#x017F;ieht; wie ein Mu&#x017F;enpferd &#x017F;chwang<lb/>
er &#x017F;ich u&#x0364;ber das Dorf. &#x2014; Ach das arme Thier!<lb/>
&#x017F;agte Walt mitleidig, und entwafnete Vulten.</p><lb/>
        <p>Sa&#x0364;mmtliche Pa&#x017F;&#x017F;agiere tranken im Freien &#x2014;<lb/>
die Pilgrimme giengen &#x017F;ingend durchs Dorf &#x2014;<lb/>
alle Thiere auf dem Dorfe und in der Luft wie¬<lb/>
herten und kra&#x0364;heten vor Lu&#x017F;t &#x2014; der ku&#x0364;hlende<lb/>
Nord-O&#x017F;t durchbla&#x0364;tterte den Ob&#x017F;tgarten, und<lb/>
rau&#x017F;chte allen ge&#x017F;unden Herzen zu: weiter hinaus<lb/>
ins freie weite Leben! &#x2014; &#x201E;Ein &#x017F;ehr go&#x0364;ttlicher<lb/>
Tag, &#x017F;agte Vult, verzeihen Sie, mein Herr!&#x201C;<lb/>
Walt &#x017F;ah ihn blo&#x0364;de an, und &#x017F;agte doch heftig:<lb/>
&#x201E;o gewis mein Herr! Die ganze Natur &#x017F;timmt<lb/>
ordentlich ein jubelndes Herzerfri&#x017F;chendes Jagd¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0146] von der ſchneeweißen Bogenſtirn den Hut luͤftete, und wie im Morgenwehen ſeine Locken das zarte mit Roſenblute durchgoſſene kindliche Geſicht an¬ flatterten, und wie ſeine Augen ſo liebend und anſpruchlos auf alle Menſchen ſanken, ſogar auf das Siebengeſtirn. Gleichwohl konnte Vult den Spott uͤber das Pferd nicht laſſen: der Gaul, ſagt' er mit ſeinen ſchwarzen Augen auf den Bru¬ der blizend und die Maͤhne ſtreichelnd, geht beſ¬ ſer, als er ausſieht; wie ein Muſenpferd ſchwang er ſich uͤber das Dorf. — Ach das arme Thier! ſagte Walt mitleidig, und entwafnete Vulten. Saͤmmtliche Paſſagiere tranken im Freien — die Pilgrimme giengen ſingend durchs Dorf — alle Thiere auf dem Dorfe und in der Luft wie¬ herten und kraͤheten vor Luſt — der kuͤhlende Nord-Oſt durchblaͤtterte den Obſtgarten, und rauſchte allen geſunden Herzen zu: weiter hinaus ins freie weite Leben! — „Ein ſehr goͤttlicher Tag, ſagte Vult, verzeihen Sie, mein Herr!“ Walt ſah ihn bloͤde an, und ſagte doch heftig: „o gewis mein Herr! Die ganze Natur ſtimmt ordentlich ein jubelndes Herzerfriſchendes Jagd¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/146
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/146>, abgerufen am 30.04.2024.