Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Beisitzer und Anwälte (men of the court and advocates), alle mit etwas kleineren Perrücken; rechts auf besonderer Erhöhung die Geschwornen (Jury), aus zwölf Bürgern bestehend; daneben der Unterrichter (undersheriff), der beim Zeugenverhör die Eide leisten und das Evangelium (gospel) küssen ließ; vor dem Tribunal auf einer umgitterten Erhöhung der Angeklagte mit dem Schließer. An den offnen Thüren des dichtgefüllten Saales sah man statt aller Polizei und Wache einige handfeste Constables mit einfachen weißen Stäben. Sie hielten wohl eine äußere Ordnung aufrecht, aber es gelang ihnen nicht, durch ihr ewiges "Silence" und "Order" auch nur momentan eine Stille im Saale hervorzubringen. Sie hätten eben so gut dem Meere zurufen können, nicht zu rauschen. Deshalb war es für einen Fremden ganz unmöglich, von den Verhandlungen etwas zu verstehn; selbst Williams konnte nur bei einer Sache den Zusammenhang fassen: ein junger Bauernkerl wurde für vier gestolene Enten zu einem Jahre Festungsarbeit verdammt.

Da die Hitze im Saale immer ärger ward, so forderten wir Williams zum Weggehn auf. Dies verstieß aber gegen die englische Sitte; wir mußten daher aushalten bis zu Ende, wo das Verlassen des Saales, eben so wie das Eindringen in denselben nicht ohne Hülfe der Ellenbogen vor sich ging.

Bei unserem fröhlichen Mittagessen im Wirtshause wurde nun mit Williams das für die Engländer karakteristische Festhalten an den einmal recipirten Aeußerlichkeiten besprochen, und das Tragen der Perrücken etwas ins lächerliche gezogen. Er behauptete mit Recht, auch die Aeußerlichkeiten seien zu achten, wenn sie durch eine

Beisitzer und Anwälte (men of the court and advocates), alle mit etwas kleineren Perrücken; rechts auf besonderer Erhöhung die Geschwornen (Jury), aus zwölf Bürgern bestehend; daneben der Unterrichter (undersheriff), der beim Zeugenverhör die Eide leisten und das Evangelium (gospel) küssen ließ; vor dem Tribunal auf einer umgitterten Erhöhung der Angeklagte mit dem Schließer. An den offnen Thüren des dichtgefüllten Saales sah man statt aller Polizei und Wache einige handfeste Constables mit einfachen weißen Stäben. Sie hielten wohl eine äußere Ordnung aufrecht, aber es gelang ihnen nicht, durch ihr ewiges „Silence“ und „Order“ auch nur momentan eine Stille im Saale hervorzubringen. Sie hätten eben so gut dem Meere zurufen können, nicht zu rauschen. Deshalb war es für einen Fremden ganz unmöglich, von den Verhandlungen etwas zu verstehn; selbst Williams konnte nur bei einer Sache den Zusammenhang fassen: ein junger Bauernkerl wurde für vier gestolene Enten zu einem Jahre Festungsarbeit verdammt.

Da die Hitze im Saale immer ärger ward, so forderten wir Williams zum Weggehn auf. Dies verstieß aber gegen die englische Sitte; wir mußten daher aushalten bis zu Ende, wo das Verlassen des Saales, eben so wie das Eindringen in denselben nicht ohne Hülfe der Ellenbogen vor sich ging.

Bei unserem fröhlichen Mittagessen im Wirtshause wurde nun mit Williams das für die Engländer karakteristische Festhalten an den einmal recipirten Aeußerlichkeiten besprochen, und das Tragen der Perrücken etwas ins lächerliche gezogen. Er behauptete mit Recht, auch die Aeußerlichkeiten seien zu achten, wenn sie durch eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0495" n="487"/>
Beisitzer und Anwälte (men of the court and advocates), alle mit etwas kleineren Perrücken; rechts auf besonderer Erhöhung die Geschwornen (Jury), aus zwölf Bürgern bestehend; daneben der Unterrichter (undersheriff), der beim Zeugenverhör die Eide leisten und das Evangelium (gospel) küssen ließ; vor dem Tribunal auf einer umgitterten Erhöhung der Angeklagte mit dem Schließer. An den offnen Thüren des dichtgefüllten Saales sah man statt aller Polizei und Wache einige handfeste Constables mit einfachen weißen Stäben. Sie hielten wohl eine äußere Ordnung aufrecht, aber es gelang ihnen nicht, durch ihr ewiges &#x201E;Silence&#x201C; und &#x201E;Order&#x201C; auch nur momentan eine Stille im Saale hervorzubringen. Sie hätten eben so gut dem Meere zurufen können, nicht zu rauschen. Deshalb war es für einen Fremden ganz unmöglich, von den Verhandlungen etwas zu verstehn; selbst Williams konnte nur bei einer Sache den Zusammenhang fassen: ein junger Bauernkerl wurde für vier gestolene Enten zu einem Jahre Festungsarbeit verdammt. </p><lb/>
        <p>Da die Hitze im Saale immer ärger ward, so forderten wir Williams zum Weggehn auf. Dies verstieß aber gegen die englische Sitte; wir mußten daher aushalten bis zu Ende, wo das Verlassen des Saales, eben so wie das Eindringen in denselben nicht ohne Hülfe der Ellenbogen vor sich ging. </p><lb/>
        <p>Bei unserem fröhlichen Mittagessen im Wirtshause wurde nun mit Williams das für die Engländer karakteristische Festhalten an den einmal recipirten Aeußerlichkeiten besprochen, und das Tragen der Perrücken etwas ins lächerliche gezogen. Er behauptete mit Recht, auch die Aeußerlichkeiten seien zu achten, wenn sie durch eine
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[487/0495] Beisitzer und Anwälte (men of the court and advocates), alle mit etwas kleineren Perrücken; rechts auf besonderer Erhöhung die Geschwornen (Jury), aus zwölf Bürgern bestehend; daneben der Unterrichter (undersheriff), der beim Zeugenverhör die Eide leisten und das Evangelium (gospel) küssen ließ; vor dem Tribunal auf einer umgitterten Erhöhung der Angeklagte mit dem Schließer. An den offnen Thüren des dichtgefüllten Saales sah man statt aller Polizei und Wache einige handfeste Constables mit einfachen weißen Stäben. Sie hielten wohl eine äußere Ordnung aufrecht, aber es gelang ihnen nicht, durch ihr ewiges „Silence“ und „Order“ auch nur momentan eine Stille im Saale hervorzubringen. Sie hätten eben so gut dem Meere zurufen können, nicht zu rauschen. Deshalb war es für einen Fremden ganz unmöglich, von den Verhandlungen etwas zu verstehn; selbst Williams konnte nur bei einer Sache den Zusammenhang fassen: ein junger Bauernkerl wurde für vier gestolene Enten zu einem Jahre Festungsarbeit verdammt. Da die Hitze im Saale immer ärger ward, so forderten wir Williams zum Weggehn auf. Dies verstieß aber gegen die englische Sitte; wir mußten daher aushalten bis zu Ende, wo das Verlassen des Saales, eben so wie das Eindringen in denselben nicht ohne Hülfe der Ellenbogen vor sich ging. Bei unserem fröhlichen Mittagessen im Wirtshause wurde nun mit Williams das für die Engländer karakteristische Festhalten an den einmal recipirten Aeußerlichkeiten besprochen, und das Tragen der Perrücken etwas ins lächerliche gezogen. Er behauptete mit Recht, auch die Aeußerlichkeiten seien zu achten, wenn sie durch eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/495
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/495>, abgerufen am 10.06.2024.