Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].die entfernteren Stadttheile lasen die Nachricht ziemlich gleichgültig in den Zeitungen. Die Ultras schäumten über die Bosheit der Revolutionärs. Es ward eine lange Untersuchung eingeleitet, von der in jener Zeit nichts offizielles verlautete, und bald wandte das Publikum sich der Ansicht zu, der Kanonenschlag sei von den Ultras selbst abgefeuert, um den König in Schrecken zu setzen, und ihren extremen reactionären Maaßregeln geneigter zu machen. Die Ausführung hatte man aber sehr ungeschickten Händen anvertraut. Auf einem Flur, der zwei Zimmer vom Kabinete des Königs zu einem Escalier derobe führt, stand ein verschlossener Holzkasten. Dieser Kasten war abgerückt, und hinter demselben fand man ein zerborstenes Faß (baril), das ungefähr sechs Pfund Pulver enthalten konnte. Die Detonation erfolgte so stark, daß man sie im Hotel des Fürsten Talleyrand deutlich hörte. In den Tuilerien zersprangen viele Scheiben, aber an eine Beschädigung des Königs war, da zwei Thüren dazwischen lagen, gar nicht zu denken. Ein kleiner Schornsteinfeger sagte aus, er habe auf jenem Flur hinter dem Holzkasten eine Flamme bemerkt, ohne darauf zu achten: doch diese Aussage führte zu gar keinem Resultate. Nach einem andern Gerüchte steckte das Pulver in einem ausgehöhlten Holzscheite, das in den Kamin des Königs geschoben, diesen in die Luft sprengen sollte; durch irgend einen Zufall sei der Schuß zu früh losgegangen. Dennoch kostete die Explosion ein Menschenleben: die Frau des königlichen Leibchirurgus, der in den Tuilerien wohnte, lag schwer krank und von den Aerzten bereits aufgegeben in einem Zimmer an der andern Seite des Flures: sie starb vor Schreck wenige Minuten nach dem Knalle. die entfernteren Stadttheile lasen die Nachricht ziemlich gleichgültig in den Zeitungen. Die Ultras schäumten über die Bosheit der Revolutionärs. Es ward eine lange Untersuchung eingeleitet, von der in jener Zeit nichts offizielles verlautete, und bald wandte das Publikum sich der Ansicht zu, der Kanonenschlag sei von den Ultras selbst abgefeuert, um den König in Schrecken zu setzen, und ihren extremen reactionären Maaßregeln geneigter zu machen. Die Ausführung hatte man aber sehr ungeschickten Händen anvertraut. Auf einem Flur, der zwei Zimmer vom Kabinete des Königs zu einem Escalier dérobé führt, stand ein verschlossener Holzkasten. Dieser Kasten war abgerückt, und hinter demselben fand man ein zerborstenes Faß (baril), das ungefähr sechs Pfund Pulver enthalten konnte. Die Detonation erfolgte so stark, daß man sie im Hotel des Fürsten Talleyrand deutlich hörte. In den Tuilerien zersprangen viele Scheiben, aber an eine Beschädigung des Königs war, da zwei Thüren dazwischen lagen, gar nicht zu denken. Ein kleiner Schornsteinfeger sagte aus, er habe auf jenem Flur hinter dem Holzkasten eine Flamme bemerkt, ohne darauf zu achten: doch diese Aussage führte zu gar keinem Resultate. Nach einem andern Gerüchte steckte das Pulver in einem ausgehöhlten Holzscheite, das in den Kamin des Königs geschoben, diesen in die Luft sprengen sollte; durch irgend einen Zufall sei der Schuß zu früh losgegangen. Dennoch kostete die Explosion ein Menschenleben: die Frau des königlichen Leibchirurgus, der in den Tuilerien wohnte, lag schwer krank und von den Aerzten bereits aufgegeben in einem Zimmer an der andern Seite des Flures: sie starb vor Schreck wenige Minuten nach dem Knalle. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0469" n="461"/> die entfernteren Stadttheile lasen die Nachricht ziemlich gleichgültig in den Zeitungen. </p><lb/> <p>Die Ultras schäumten über die Bosheit der Revolutionärs. Es ward eine lange Untersuchung eingeleitet, von der in jener Zeit nichts offizielles verlautete, und bald wandte das Publikum sich der Ansicht zu, der Kanonenschlag sei von den Ultras selbst abgefeuert, um den König in Schrecken zu setzen, und ihren extremen reactionären Maaßregeln geneigter zu machen. Die Ausführung hatte man aber sehr ungeschickten Händen anvertraut. Auf einem Flur, der zwei Zimmer vom Kabinete des Königs zu einem Escalier dérobé führt, stand ein verschlossener Holzkasten. Dieser Kasten war abgerückt, und hinter demselben fand man ein zerborstenes Faß (baril), das ungefähr sechs Pfund Pulver enthalten konnte. Die Detonation erfolgte so stark, daß man sie im Hotel des Fürsten Talleyrand deutlich hörte. In den Tuilerien zersprangen viele Scheiben, aber an eine Beschädigung des Königs war, da zwei Thüren dazwischen lagen, gar nicht zu denken. Ein kleiner Schornsteinfeger sagte aus, er habe auf jenem Flur hinter dem Holzkasten eine Flamme bemerkt, ohne darauf zu achten: doch diese Aussage führte zu gar keinem Resultate. Nach einem andern Gerüchte steckte das Pulver in einem ausgehöhlten Holzscheite, das in den Kamin des Königs geschoben, diesen in die Luft sprengen sollte; durch irgend einen Zufall sei der Schuß zu früh losgegangen. </p><lb/> <p>Dennoch kostete die Explosion ein Menschenleben: die Frau des königlichen Leibchirurgus, der in den Tuilerien wohnte, lag schwer krank und von den Aerzten bereits aufgegeben in einem Zimmer an der andern Seite des Flures: sie starb vor Schreck wenige Minuten nach dem Knalle. </p> </div> </body> </text> </TEI> [461/0469]
die entfernteren Stadttheile lasen die Nachricht ziemlich gleichgültig in den Zeitungen.
Die Ultras schäumten über die Bosheit der Revolutionärs. Es ward eine lange Untersuchung eingeleitet, von der in jener Zeit nichts offizielles verlautete, und bald wandte das Publikum sich der Ansicht zu, der Kanonenschlag sei von den Ultras selbst abgefeuert, um den König in Schrecken zu setzen, und ihren extremen reactionären Maaßregeln geneigter zu machen. Die Ausführung hatte man aber sehr ungeschickten Händen anvertraut. Auf einem Flur, der zwei Zimmer vom Kabinete des Königs zu einem Escalier dérobé führt, stand ein verschlossener Holzkasten. Dieser Kasten war abgerückt, und hinter demselben fand man ein zerborstenes Faß (baril), das ungefähr sechs Pfund Pulver enthalten konnte. Die Detonation erfolgte so stark, daß man sie im Hotel des Fürsten Talleyrand deutlich hörte. In den Tuilerien zersprangen viele Scheiben, aber an eine Beschädigung des Königs war, da zwei Thüren dazwischen lagen, gar nicht zu denken. Ein kleiner Schornsteinfeger sagte aus, er habe auf jenem Flur hinter dem Holzkasten eine Flamme bemerkt, ohne darauf zu achten: doch diese Aussage führte zu gar keinem Resultate. Nach einem andern Gerüchte steckte das Pulver in einem ausgehöhlten Holzscheite, das in den Kamin des Königs geschoben, diesen in die Luft sprengen sollte; durch irgend einen Zufall sei der Schuß zu früh losgegangen.
Dennoch kostete die Explosion ein Menschenleben: die Frau des königlichen Leibchirurgus, der in den Tuilerien wohnte, lag schwer krank und von den Aerzten bereits aufgegeben in einem Zimmer an der andern Seite des Flures: sie starb vor Schreck wenige Minuten nach dem Knalle.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/469 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/469>, abgerufen am 23.06.2024. |