Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Unbegreiflich bleibt es freilich, wie ein solches Attentat unternommen worden konnte, da man seit der Ermordung des Herzogs von Berry nur die geprüftesten Diener in der Umgebung des Königs anstellte. Ueberdies waren die Tuilerien dreifach besetzt: durch die aus lauter Edelleuten bestehende Garde d'elite, durch die treuen Schweizer, und im innersten durch die Huissiers des Königs, ungerechnet die Schildwachen an den äußeren Thoren und in den Höfen. Alle diese Umstände machten es sehr wahrscheinlich, daß irgend ein verbissener Ultra einem königlichen Diener ein gutes Stück Geld in die Hand gedrückt und ihm eingeredet habe, er erweise durch diesen Schuß dem Lande und der guten Sache des Königthumes einen großen Dienst. Daß der Vorfall im Salon der Herzogin eine Zeit lang lebhaft besprochen ward, läßt sich denken. Talleyrand äußerte nicht ein Wort darüber, zuckte die Achseln oder ließ ein brummendes Hm, hm! hören. Die Herzogin, durch und durch von der edelsten Gesinnung beseelt, konnte sich nicht davon überzeugen, daß die liberale Partei mit diesem plumpen Einschüchterungsversuche in Verbindung stehe. Die Gräfin Chassepot verfocht die entgegengesetzte Meinung mit einer solchen Hartnäckigkeit und in so ungemessenen Ausdrücken, daß mir sehr klar wurde, es könnten auch Personen streiten, die nicht derselben Ansicht sind. Bewundern mußte ich von neuem die unbeschreibliche Nachsicht der Herzogin, daß sie eine so wenig erzogene Person, die kaum in der hundertsten, geschweige denn in der dritten Replique eine Impertinence fand, nur noch einen Augenblick länger in ihrer Nähe duldete. Unbegreiflich bleibt es freilich, wie ein solches Attentat unternommen worden konnte, da man seit der Ermordung des Herzogs von Berry nur die geprüftesten Diener in der Umgebung des Königs anstellte. Ueberdies waren die Tuilerien dreifach besetzt: durch die aus lauter Edelleuten bestehende Garde d’élite, durch die treuen Schweizer, und im innersten durch die Huissiers des Königs, ungerechnet die Schildwachen an den äußeren Thoren und in den Höfen. Alle diese Umstände machten es sehr wahrscheinlich, daß irgend ein verbissener Ultra einem königlichen Diener ein gutes Stück Geld in die Hand gedrückt und ihm eingeredet habe, er erweise durch diesen Schuß dem Lande und der guten Sache des Königthumes einen großen Dienst. Daß der Vorfall im Salon der Herzogin eine Zeit lang lebhaft besprochen ward, läßt sich denken. Talleyrand äußerte nicht ein Wort darüber, zuckte die Achseln oder ließ ein brummendes Hm, hm! hören. Die Herzogin, durch und durch von der edelsten Gesinnung beseelt, konnte sich nicht davon überzeugen, daß die liberale Partei mit diesem plumpen Einschüchterungsversuche in Verbindung stehe. Die Gräfin Chassepot verfocht die entgegengesetzte Meinung mit einer solchen Hartnäckigkeit und in so ungemessenen Ausdrücken, daß mir sehr klar wurde, es könnten auch Personen streiten, die nicht derselben Ansicht sind. Bewundern mußte ich von neuem die unbeschreibliche Nachsicht der Herzogin, daß sie eine so wenig erzogene Person, die kaum in der hundertsten, geschweige denn in der dritten Réplique eine Impertinence fand, nur noch einen Augenblick länger in ihrer Nähe duldete. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0470" n="462"/> </p><lb/> <p>Unbegreiflich bleibt es freilich, wie ein solches Attentat unternommen worden konnte, da man seit der Ermordung des Herzogs von Berry nur die geprüftesten Diener in der Umgebung des Königs anstellte. 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Die Gräfin Chassepot verfocht die entgegengesetzte Meinung mit einer solchen Hartnäckigkeit und in so ungemessenen Ausdrücken, daß mir sehr klar wurde, es könnten auch Personen streiten, die nicht derselben Ansicht sind. Bewundern mußte ich von neuem die unbeschreibliche Nachsicht der Herzogin, daß sie eine so wenig erzogene Person, die kaum in der hundertsten, geschweige denn in der dritten Réplique eine Impertinence fand, nur noch einen Augenblick länger in ihrer Nähe duldete. </p> </div> </body> </text> </TEI> [462/0470]
Unbegreiflich bleibt es freilich, wie ein solches Attentat unternommen worden konnte, da man seit der Ermordung des Herzogs von Berry nur die geprüftesten Diener in der Umgebung des Königs anstellte. Ueberdies waren die Tuilerien dreifach besetzt: durch die aus lauter Edelleuten bestehende Garde d’élite, durch die treuen Schweizer, und im innersten durch die Huissiers des Königs, ungerechnet die Schildwachen an den äußeren Thoren und in den Höfen.
Alle diese Umstände machten es sehr wahrscheinlich, daß irgend ein verbissener Ultra einem königlichen Diener ein gutes Stück Geld in die Hand gedrückt und ihm eingeredet habe, er erweise durch diesen Schuß dem Lande und der guten Sache des Königthumes einen großen Dienst.
Daß der Vorfall im Salon der Herzogin eine Zeit lang lebhaft besprochen ward, läßt sich denken. Talleyrand äußerte nicht ein Wort darüber, zuckte die Achseln oder ließ ein brummendes Hm, hm! hören. Die Herzogin, durch und durch von der edelsten Gesinnung beseelt, konnte sich nicht davon überzeugen, daß die liberale Partei mit diesem plumpen Einschüchterungsversuche in Verbindung stehe. Die Gräfin Chassepot verfocht die entgegengesetzte Meinung mit einer solchen Hartnäckigkeit und in so ungemessenen Ausdrücken, daß mir sehr klar wurde, es könnten auch Personen streiten, die nicht derselben Ansicht sind. Bewundern mußte ich von neuem die unbeschreibliche Nachsicht der Herzogin, daß sie eine so wenig erzogene Person, die kaum in der hundertsten, geschweige denn in der dritten Réplique eine Impertinence fand, nur noch einen Augenblick länger in ihrer Nähe duldete.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/470>, abgerufen am 27.07.2024. |