Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Krieg, und gelangte dadurch zu einer allgemeinen geographischen Kenntniß des alten und neuen Galliens. Die Aehnlichkeit der modernen fränkischen Franzosen mit den alten, von Caesar so meisterhaft skizzirten keltischen Galliern ist eine schlagende. Man muß den oft ausgesprochenen Satz anerkennen: jeder Boden trage die ihm eigenthümlichen Pflanzen und die ihm zugehörenden Völker durch alle Jahrhunderte in unveränderter Gleichförmigkeit. Auf den Caesar folgten des Tacitus Historien. Diese pflegte ich zum Schlusse eines geschäftigen Tages, gleichsam als Abendgebet zu lesen; in ihrer gedankenreichen Simplicität verfehlten sie nie, eine beruhigende Wirkung auszuüben. Endlich nahm ich Ciceros Catilinarien zur Hand; sie stachen aber gegen den Tacitus gar zu grell ab. Der bezaubernde harmonische Fluß der Prosa war nicht im Stande, für die Gedankenarmuth zu entschädigen; ich mußte mir moralischen Zwang anthun, um die vierte Rede auszulesen. Darüber rückte Weihnachten heran; die Winternebel wurden so stark, daß es manchmal schwer war den Weg zu finden. Wenn ich aus dem Theater kam, so ging ich vom Pont Louis XVI. über den Platz am Palais Bourbon, um meine Wohnung an der Ecke der Rue de l'Universite zu erreichen. Da geschah es oft, daß ich von der Brücke ungefähr meine Richtung in der undurchdringlichen Nebelhülle suchend, entweder an der Ecke der Rue de Bourbon oder der Rue Saint Dominique wieder herauskam. Die Wagen sollten ganz langsam fahren, aber dieser Befehl wurde nicht respektirt. Hörte man im Dunkel etwas heranrollen, so that man am besten still zu stehn, und zuletzt Krieg, und gelangte dadurch zu einer allgemeinen geographischen Kenntniß des alten und neuen Galliens. Die Aehnlichkeit der modernen fränkischen Franzosen mit den alten, von Caesar so meisterhaft skizzirten keltischen Galliern ist eine schlagende. Man muß den oft ausgesprochenen Satz anerkennen: jeder Boden trage die ihm eigenthümlichen Pflanzen und die ihm zugehörenden Völker durch alle Jahrhunderte in unveränderter Gleichförmigkeit. Auf den Caesar folgten des Tacitus Historien. Diese pflegte ich zum Schlusse eines geschäftigen Tages, gleichsam als Abendgebet zu lesen; in ihrer gedankenreichen Simplicität verfehlten sie nie, eine beruhigende Wirkung auszuüben. Endlich nahm ich Ciceros Catilinarien zur Hand; sie stachen aber gegen den Tacitus gar zu grell ab. Der bezaubernde harmonische Fluß der Prosa war nicht im Stande, für die Gedankenarmuth zu entschädigen; ich mußte mir moralischen Zwang anthun, um die vierte Rede auszulesen. Darüber rückte Weihnachten heran; die Winternebel wurden so stark, daß es manchmal schwer war den Weg zu finden. Wenn ich aus dem Theater kam, so ging ich vom Pont Louis XVI. über den Platz am Palais Bourbon, um meine Wohnung an der Ecke der Rue de l’Université zu erreichen. Da geschah es oft, daß ich von der Brücke ungefähr meine Richtung in der undurchdringlichen Nebelhülle suchend, entweder an der Ecke der Rue de Bourbon oder der Rue Saint Dominique wieder herauskam. Die Wagen sollten ganz langsam fahren, aber dieser Befehl wurde nicht respektirt. Hörte man im Dunkel etwas heranrollen, so that man am besten still zu stehn, und zuletzt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0466" n="458"/> Krieg, und gelangte dadurch zu einer allgemeinen geographischen Kenntniß des alten und neuen Galliens. Die Aehnlichkeit der modernen fränkischen Franzosen mit den alten, von Caesar so meisterhaft skizzirten keltischen Galliern ist eine schlagende. 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Krieg, und gelangte dadurch zu einer allgemeinen geographischen Kenntniß des alten und neuen Galliens. Die Aehnlichkeit der modernen fränkischen Franzosen mit den alten, von Caesar so meisterhaft skizzirten keltischen Galliern ist eine schlagende. Man muß den oft ausgesprochenen Satz anerkennen: jeder Boden trage die ihm eigenthümlichen Pflanzen und die ihm zugehörenden Völker durch alle Jahrhunderte in unveränderter Gleichförmigkeit.
Auf den Caesar folgten des Tacitus Historien. Diese pflegte ich zum Schlusse eines geschäftigen Tages, gleichsam als Abendgebet zu lesen; in ihrer gedankenreichen Simplicität verfehlten sie nie, eine beruhigende Wirkung auszuüben. Endlich nahm ich Ciceros Catilinarien zur Hand; sie stachen aber gegen den Tacitus gar zu grell ab. Der bezaubernde harmonische Fluß der Prosa war nicht im Stande, für die Gedankenarmuth zu entschädigen; ich mußte mir moralischen Zwang anthun, um die vierte Rede auszulesen.
Darüber rückte Weihnachten heran; die Winternebel wurden so stark, daß es manchmal schwer war den Weg zu finden. Wenn ich aus dem Theater kam, so ging ich vom Pont Louis XVI. über den Platz am Palais Bourbon, um meine Wohnung an der Ecke der Rue de l’Université zu erreichen. Da geschah es oft, daß ich von der Brücke ungefähr meine Richtung in der undurchdringlichen Nebelhülle suchend, entweder an der Ecke der Rue de Bourbon oder der Rue Saint Dominique wieder herauskam. Die Wagen sollten ganz langsam fahren, aber dieser Befehl wurde nicht respektirt. Hörte man im Dunkel etwas heranrollen, so that man am besten still zu stehn, und zuletzt
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/466>, abgerufen am 10.06.2024. |