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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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von ihm nach kurzer Zeit, und wählte einen Master Burges, der seit langer Zeit mit Frau und Kindern in Paris ansässig, für einen gründlich gebildeten Mann galt. Zwar hielt er nicht so pedantisch wie sein Vorgänger auf eine ganz reine Aussprache, indem er mir versicherte, ich spreche wie ein Engländer, aber in der Litteratur konnten wir durchaus nicht einig werden. Wie Master Seymour in Berlin, so behandelte auch Master Burges in Paris den Shakspeare mit großer Gleichgültigkeit, fast mit Geringschätzung, die, wie ich wohl bemerkte, aus einer Unkenntniß des Dichters hervorging. Walter Scott und Byron, beide im Beginne ihrer glänzenden Laufbahn, fanden eben so wenig Gnade vor seinen Augen. Er nöthigte mich, mit ihm den von Samuel Johnson zu lesen, ein anerkanntes Muster klassischer Sprache, aber ein Ausdruck der allernüchternsten Lebensanschauung. Johnsons unbedeutende Anmerkungen zum Shakspeare hatte ich schon in Berlin zur Hand genommen, aber sehr bald bei Seite gelegt.

Nach Beendigung des wurden auch die Stunden bei Master Burges geschlossen. Ich kaufte mir eine saubre londoner Ausgabe von Byrons Werken in 6 Bändchen (mehr waren noch nicht erschienen), las für mich darin, und hoffte Madame Waldron in schwierigen Fällen konsultiren zu können, doch fand ich bei ihr wenig Trost und Hülfe. Ueber den Wortsinn war ich selten in Zweifel, dem hohen Gedankenfluge Byrons und seinen kühnen Metaphern konnte Madame Waldron nicht folgen.



Die wünschenswerthe Muße dieses Winters machte mir Muth zu einem zweiten Versuche, den Don Quixote

von ihm nach kurzer Zeit, und wählte einen Master Burges, der seit langer Zeit mit Frau und Kindern in Paris ansässig, für einen gründlich gebildeten Mann galt. Zwar hielt er nicht so pedantisch wie sein Vorgänger auf eine ganz reine Aussprache, indem er mir versicherte, ich spreche wie ein Engländer, aber in der Litteratur konnten wir durchaus nicht einig werden. Wie Master Seymour in Berlin, so behandelte auch Master Burges in Paris den Shakspeare mit großer Gleichgültigkeit, fast mit Geringschätzung, die, wie ich wohl bemerkte, aus einer Unkenntniß des Dichters hervorging. Walter Scott und Byron, beide im Beginne ihrer glänzenden Laufbahn, fanden eben so wenig Gnade vor seinen Augen. Er nöthigte mich, mit ihm den ‹Rasselas› von Samuel Johnson zu lesen, ein anerkanntes Muster klassischer Sprache, aber ein Ausdruck der allernüchternsten Lebensanschauung. Johnsons unbedeutende Anmerkungen zum Shakspeare hatte ich schon in Berlin zur Hand genommen, aber sehr bald bei Seite gelegt.

Nach Beendigung des ‹Rasselas› wurden auch die Stunden bei Master Burges geschlossen. Ich kaufte mir eine saubre londoner Ausgabe von Byrons Werken in 6 Bändchen (mehr waren noch nicht erschienen), las für mich darin, und hoffte Madame Waldron in schwierigen Fällen konsultiren zu können, doch fand ich bei ihr wenig Trost und Hülfe. Ueber den Wortsinn war ich selten in Zweifel, dem hohen Gedankenfluge Byrons und seinen kühnen Metaphern konnte Madame Waldron nicht folgen.



Die wünschenswerthe Muße dieses Winters machte mir Muth zu einem zweiten Versuche, den Don Quixote

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von ihm nach kurzer Zeit, und wählte einen Master Burges, der seit langer Zeit mit Frau und Kindern in Paris ansässig, für einen gründlich gebildeten Mann galt. Zwar hielt er nicht so pedantisch wie sein Vorgänger auf eine ganz reine Aussprache, indem er mir versicherte, ich spreche wie ein Engländer, aber in der Litteratur konnten wir durchaus nicht einig werden. Wie Master Seymour in Berlin, so behandelte auch Master Burges in Paris den Shakspeare mit großer Gleichgültigkeit, fast mit Geringschätzung, die, wie ich wohl bemerkte, aus einer Unkenntniß des Dichters hervorging. Walter Scott und Byron, beide im Beginne ihrer glänzenden Laufbahn, fanden eben so wenig Gnade vor seinen Augen. Er nöthigte mich, mit ihm den &#x2039;Rasselas&#x203A; von Samuel Johnson zu lesen, ein anerkanntes Muster klassischer Sprache, aber ein Ausdruck der allernüchternsten Lebensanschauung. Johnsons unbedeutende Anmerkungen zum Shakspeare hatte ich schon in Berlin zur Hand genommen, aber sehr bald bei Seite gelegt. </p><lb/>
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[456/0464] von ihm nach kurzer Zeit, und wählte einen Master Burges, der seit langer Zeit mit Frau und Kindern in Paris ansässig, für einen gründlich gebildeten Mann galt. Zwar hielt er nicht so pedantisch wie sein Vorgänger auf eine ganz reine Aussprache, indem er mir versicherte, ich spreche wie ein Engländer, aber in der Litteratur konnten wir durchaus nicht einig werden. Wie Master Seymour in Berlin, so behandelte auch Master Burges in Paris den Shakspeare mit großer Gleichgültigkeit, fast mit Geringschätzung, die, wie ich wohl bemerkte, aus einer Unkenntniß des Dichters hervorging. Walter Scott und Byron, beide im Beginne ihrer glänzenden Laufbahn, fanden eben so wenig Gnade vor seinen Augen. Er nöthigte mich, mit ihm den ‹Rasselas› von Samuel Johnson zu lesen, ein anerkanntes Muster klassischer Sprache, aber ein Ausdruck der allernüchternsten Lebensanschauung. Johnsons unbedeutende Anmerkungen zum Shakspeare hatte ich schon in Berlin zur Hand genommen, aber sehr bald bei Seite gelegt. Nach Beendigung des ‹Rasselas› wurden auch die Stunden bei Master Burges geschlossen. Ich kaufte mir eine saubre londoner Ausgabe von Byrons Werken in 6 Bändchen (mehr waren noch nicht erschienen), las für mich darin, und hoffte Madame Waldron in schwierigen Fällen konsultiren zu können, doch fand ich bei ihr wenig Trost und Hülfe. Ueber den Wortsinn war ich selten in Zweifel, dem hohen Gedankenfluge Byrons und seinen kühnen Metaphern konnte Madame Waldron nicht folgen. Die wünschenswerthe Muße dieses Winters machte mir Muth zu einem zweiten Versuche, den Don Quixote

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/464>, abgerufen am 02.06.2024.