Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

lassung des Ballettes und mit verändertem Schlusse. Es versammelt sich ein Kollegium von 20 bis 30 Aerzten in scharlachrothen Talaren. Dies sind die Mitglieder der Bühne, die dann paarweis über das Proscenium ziehn und sich gegen das Publikum verneigen. Gleich anfangs erschien ein kleiner untersetzter Mann mit einem überaus freundlichen, beinahe verschmitzten Gesichte. Als er sich verneigte, lief ein Flüstern durch das Haus: Est-ce Talma? - Non, ce n'est pas lui! - Oui, c'est bien Talma! und nun erscholl ein kaum enden wollender Applaus: denn kaum erkannte man den eben gesehenen Heroen in der närrischen Verkleidung und ohne Kothurn. Sehr erheitert strömte das Publikum hinaus, und nur wenige verweigerten der Logenschließerin die etrennes, um welche sie mit französischer Artigkeit bat.

Weder von Shakspeare noch von einem deutschen Dramatiker kamen Uebersetzungen auf die Bühne. Göthes Werther allein erfreute sich des Vorzuges, als Trauerspiel, als Lustspiel, als Operette, als Ballet und als Puppenspiel bearbeitet zu sein, ich konnte mich aber nicht entschließen, auch nur eine von diesen Misgeburten kennen zu lernen.

Von dem weltberühmten pariser Ballette will ich nur anführen, daß mein Widerwille gegen die geschmacklosen Windmühlenbewegungen und lüsternen Halbhüllen, gegen die sinnlosen Entrechats und Pirouetten nur noch größer wurde, je vollkomner die Ausführung der unästhetischen Verrenkungen sich darstellte. Sehr beliebt waren zu meiner Zeit Les pages du duc de Vendome und Le cameval de Venise, welche beide durch eine ansprechende Musik getragen wurden. Aber nach und nach erschöpften sich die frivolen und burlesken Gegenstände; als non plus ultra

lassung des Ballettes und mit verändertem Schlusse. Es versammelt sich ein Kollegium von 20 bis 30 Aerzten in scharlachrothen Talaren. Dies sind die Mitglieder der Bühne, die dann paarweis über das Proscenium ziehn und sich gegen das Publikum verneigen. Gleich anfangs erschien ein kleiner untersetzter Mann mit einem überaus freundlichen, beinahe verschmitzten Gesichte. Als er sich verneigte, lief ein Flüstern durch das Haus: Est-ce Talma? – Non, ce n’est pas lui! – Oui, c’est bien Talma! und nun erscholl ein kaum enden wollender Applaus: denn kaum erkannte man den eben gesehenen Heroen in der närrischen Verkleidung und ohne Kothurn. Sehr erheitert strömte das Publikum hinaus, und nur wenige verweigerten der Logenschließerin die étrennes, um welche sie mit französischer Artigkeit bat.

Weder von Shakspeare noch von einem deutschen Dramatiker kamen Uebersetzungen auf die Bühne. Göthes Werther allein erfreute sich des Vorzuges, als Trauerspiel, als Lustspiel, als Operette, als Ballet und als Puppenspiel bearbeitet zu sein, ich konnte mich aber nicht entschließen, auch nur eine von diesen Misgeburten kennen zu lernen.

Von dem weltberühmten pariser Ballette will ich nur anführen, daß mein Widerwille gegen die geschmacklosen Windmühlenbewegungen und lüsternen Halbhüllen, gegen die sinnlosen Entrechats und Pirouetten nur noch größer wurde, je vollkomner die Ausführung der unästhetischen Verrenkungen sich darstellte. Sehr beliebt waren zu meiner Zeit Les pages du duc de Vendôme und Le cameval de Venise, welche beide durch eine ansprechende Musik getragen wurden. Aber nach und nach erschöpften sich die frivolen und burlesken Gegenstände; als non plus ultra

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0461" n="453"/>
lassung des Ballettes und mit verändertem Schlusse. Es versammelt sich ein Kollegium von 20 bis 30 Aerzten in scharlachrothen Talaren. Dies sind die Mitglieder der Bühne, die dann paarweis über das Proscenium ziehn und sich gegen das Publikum verneigen. Gleich anfangs erschien ein kleiner untersetzter Mann mit einem überaus freundlichen, beinahe verschmitzten Gesichte. Als er sich verneigte, lief ein Flüstern durch das Haus: Est-ce Talma? &#x2013; Non, ce n&#x2019;est pas lui! &#x2013; Oui, c&#x2019;est bien Talma! und nun erscholl ein kaum enden wollender Applaus: denn kaum erkannte man den eben gesehenen Heroen in der närrischen Verkleidung und ohne Kothurn. Sehr erheitert strömte das Publikum hinaus, und nur wenige verweigerten der Logenschließerin die étrennes, um welche sie mit französischer Artigkeit bat. </p><lb/>
        <p>Weder von Shakspeare noch von einem deutschen Dramatiker kamen Uebersetzungen auf die Bühne. Göthes Werther allein erfreute sich des Vorzuges, als Trauerspiel, als Lustspiel, als Operette, als Ballet und als Puppenspiel bearbeitet zu sein, ich konnte mich aber nicht entschließen, auch nur eine von diesen Misgeburten kennen zu lernen. </p><lb/>
        <p>Von dem weltberühmten pariser Ballette will ich nur anführen, daß mein Widerwille gegen die geschmacklosen Windmühlenbewegungen und lüsternen Halbhüllen, gegen die sinnlosen Entrechats und Pirouetten nur noch größer wurde, je vollkomner die Ausführung der unästhetischen Verrenkungen sich darstellte. Sehr beliebt waren zu meiner Zeit Les pages du duc de Vendôme und Le cameval de Venise, welche beide durch eine ansprechende Musik getragen wurden. Aber nach und nach erschöpften sich die frivolen und burlesken Gegenstände; als non plus ultra
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0461] lassung des Ballettes und mit verändertem Schlusse. Es versammelt sich ein Kollegium von 20 bis 30 Aerzten in scharlachrothen Talaren. Dies sind die Mitglieder der Bühne, die dann paarweis über das Proscenium ziehn und sich gegen das Publikum verneigen. Gleich anfangs erschien ein kleiner untersetzter Mann mit einem überaus freundlichen, beinahe verschmitzten Gesichte. Als er sich verneigte, lief ein Flüstern durch das Haus: Est-ce Talma? – Non, ce n’est pas lui! – Oui, c’est bien Talma! und nun erscholl ein kaum enden wollender Applaus: denn kaum erkannte man den eben gesehenen Heroen in der närrischen Verkleidung und ohne Kothurn. Sehr erheitert strömte das Publikum hinaus, und nur wenige verweigerten der Logenschließerin die étrennes, um welche sie mit französischer Artigkeit bat. Weder von Shakspeare noch von einem deutschen Dramatiker kamen Uebersetzungen auf die Bühne. Göthes Werther allein erfreute sich des Vorzuges, als Trauerspiel, als Lustspiel, als Operette, als Ballet und als Puppenspiel bearbeitet zu sein, ich konnte mich aber nicht entschließen, auch nur eine von diesen Misgeburten kennen zu lernen. Von dem weltberühmten pariser Ballette will ich nur anführen, daß mein Widerwille gegen die geschmacklosen Windmühlenbewegungen und lüsternen Halbhüllen, gegen die sinnlosen Entrechats und Pirouetten nur noch größer wurde, je vollkomner die Ausführung der unästhetischen Verrenkungen sich darstellte. Sehr beliebt waren zu meiner Zeit Les pages du duc de Vendôme und Le cameval de Venise, welche beide durch eine ansprechende Musik getragen wurden. Aber nach und nach erschöpften sich die frivolen und burlesken Gegenstände; als non plus ultra

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/461
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/461>, abgerufen am 24.11.2024.