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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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von Sagan, war ohne Frage die geistreichste Person unseres jungen Kreises. Ohne schön zu sein fesselte sie durch ihre sprechenden blauen Augen, durch ihre vornehme Blässe, durch ihr hellblondes, von einem Goldschimmer durchflossenes Haar. In ihrer Gesellschaft sich zu langweilen war unmöglich, denn ihre von Gedankenlichtern belebte Unterhaltung erschien in allen Formen anmuthig. Nachdem wir uns etwas näher kennen gelernt, geriethen wir fast täglich in einen freundschaftlichen Wortwechsel über die verschiedensten Gegenstände. Sie schützte ihre Behauptungen mit allen möglichen triftigen und untriftigen Gründen, mit feinem Witze und überraschendem Scharfsinne. Anfangs liebte sie es, über die unbedeutendsten Tagesereignisse eine Diskussion anzufangen. Sie war gar nicht damit zufrieden, wenn ich den Faden des Gespräches alsbald fallen ließ. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß dergleichen Dinge kaum die oberflächlichste Erwähnung verdienten. Als dies noch nicht helfen wollte, führte ich zwar die Kontroverse fort, suchte sie aber durch Verallgemeinerung der Sätze auf ein höheres, philosophisches oder ethisches Gebiet zu leiten. Mit Vergnügen bemerkte ich, daß sie mir auf diese Felder, die ihr bisher ferner gelegen, sehr gut folgen konnte. Es bewährte sich an uns der paradoxe Satz, daß man nur disputiren könne, wenn man im Grunde derselben Meinung sei. Zwischen diametral entgegenstehenden Ansichten kann kein Streit stattfinden.

Wir bildeten uns beide ein, sehr viel Menschenkenntniß zu besitzen, - als ob dies mit 20 Jahren möglich wäre! - und unterließen dem zu Folge nicht, uns gegenseitig zu beurtheilen. Dies gab zu vielen scherzhaften

von Sagan, war ohne Frage die geistreichste Person unseres jungen Kreises. Ohne schön zu sein fesselte sie durch ihre sprechenden blauen Augen, durch ihre vornehme Blässe, durch ihr hellblondes, von einem Goldschimmer durchflossenes Haar. In ihrer Gesellschaft sich zu langweilen war unmöglich, denn ihre von Gedankenlichtern belebte Unterhaltung erschien in allen Formen anmuthig. Nachdem wir uns etwas näher kennen gelernt, geriethen wir fast täglich in einen freundschaftlichen Wortwechsel über die verschiedensten Gegenstände. Sie schützte ihre Behauptungen mit allen möglichen triftigen und untriftigen Gründen, mit feinem Witze und überraschendem Scharfsinne. Anfangs liebte sie es, über die unbedeutendsten Tagesereignisse eine Diskussion anzufangen. Sie war gar nicht damit zufrieden, wenn ich den Faden des Gespräches alsbald fallen ließ. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß dergleichen Dinge kaum die oberflächlichste Erwähnung verdienten. Als dies noch nicht helfen wollte, führte ich zwar die Kontroverse fort, suchte sie aber durch Verallgemeinerung der Sätze auf ein höheres, philosophisches oder ethisches Gebiet zu leiten. Mit Vergnügen bemerkte ich, daß sie mir auf diese Felder, die ihr bisher ferner gelegen, sehr gut folgen konnte. Es bewährte sich an uns der paradoxe Satz, daß man nur disputiren könne, wenn man im Grunde derselben Meinung sei. Zwischen diametral entgegenstehenden Ansichten kann kein Streit stattfinden.

Wir bildeten uns beide ein, sehr viel Menschenkenntniß zu besitzen, – als ob dies mit 20 Jahren möglich wäre! – und unterließen dem zu Folge nicht, uns gegenseitig zu beurtheilen. Dies gab zu vielen scherzhaften

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von Sagan, war ohne Frage die geistreichste Person unseres jungen Kreises. Ohne schön zu sein fesselte sie durch ihre sprechenden blauen Augen, durch ihre vornehme Blässe, durch ihr hellblondes, von einem Goldschimmer durchflossenes Haar. In ihrer Gesellschaft sich zu langweilen war unmöglich, denn ihre von Gedankenlichtern belebte Unterhaltung erschien in allen Formen anmuthig. Nachdem wir uns etwas näher kennen gelernt, geriethen wir fast täglich in einen freundschaftlichen Wortwechsel über die verschiedensten Gegenstände. Sie schützte ihre Behauptungen mit allen möglichen triftigen und untriftigen Gründen, mit feinem Witze und überraschendem Scharfsinne. Anfangs liebte sie es, über die unbedeutendsten Tagesereignisse eine Diskussion anzufangen. Sie war gar nicht damit zufrieden, wenn ich den Faden des Gespräches alsbald fallen ließ. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß dergleichen Dinge kaum die oberflächlichste Erwähnung verdienten. Als dies noch nicht helfen wollte, führte ich zwar die Kontroverse fort, suchte sie aber durch Verallgemeinerung der Sätze auf ein höheres, philosophisches oder ethisches Gebiet zu leiten. Mit Vergnügen bemerkte ich, daß sie mir auf diese Felder, die ihr bisher ferner gelegen, sehr gut folgen konnte. Es bewährte sich an uns der paradoxe Satz, daß man nur disputiren könne, wenn man im Grunde derselben Meinung sei. Zwischen diametral entgegenstehenden Ansichten kann kein Streit stattfinden. </p><lb/>
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[395/0403] von Sagan, war ohne Frage die geistreichste Person unseres jungen Kreises. Ohne schön zu sein fesselte sie durch ihre sprechenden blauen Augen, durch ihre vornehme Blässe, durch ihr hellblondes, von einem Goldschimmer durchflossenes Haar. In ihrer Gesellschaft sich zu langweilen war unmöglich, denn ihre von Gedankenlichtern belebte Unterhaltung erschien in allen Formen anmuthig. Nachdem wir uns etwas näher kennen gelernt, geriethen wir fast täglich in einen freundschaftlichen Wortwechsel über die verschiedensten Gegenstände. Sie schützte ihre Behauptungen mit allen möglichen triftigen und untriftigen Gründen, mit feinem Witze und überraschendem Scharfsinne. Anfangs liebte sie es, über die unbedeutendsten Tagesereignisse eine Diskussion anzufangen. Sie war gar nicht damit zufrieden, wenn ich den Faden des Gespräches alsbald fallen ließ. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß dergleichen Dinge kaum die oberflächlichste Erwähnung verdienten. Als dies noch nicht helfen wollte, führte ich zwar die Kontroverse fort, suchte sie aber durch Verallgemeinerung der Sätze auf ein höheres, philosophisches oder ethisches Gebiet zu leiten. Mit Vergnügen bemerkte ich, daß sie mir auf diese Felder, die ihr bisher ferner gelegen, sehr gut folgen konnte. Es bewährte sich an uns der paradoxe Satz, daß man nur disputiren könne, wenn man im Grunde derselben Meinung sei. Zwischen diametral entgegenstehenden Ansichten kann kein Streit stattfinden. Wir bildeten uns beide ein, sehr viel Menschenkenntniß zu besitzen, – als ob dies mit 20 Jahren möglich wäre! – und unterließen dem zu Folge nicht, uns gegenseitig zu beurtheilen. Dies gab zu vielen scherzhaften

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/403>, abgerufen am 24.11.2024.