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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Milton deutsch vor, anfangs in ungebundener Rede, hin und wieder stockend; aber nach und nach erwärmte er sich an seinem Gegenstande, der Vortrag kam in Fluß, das jambische Metrum stellte sich von selbst ein, und seine Uebertragung gestaltete sich zu einer hochpoetischen Improvisation. Schlosser erklärte auch, wo es ihm nöthig schien, die dunkeln Stellen, und forderte uns auf, so viel zu fragen, als wir wollten. Dies geschah aber nur selten, teils um den Strom seiner metrischen Rede nicht zu unterbrechen, theils auch, weil Milton in sprachlicher Hinsicht keine besondern Schwierigkeiten darbietet. Doch machte Miltons wunderliche christliche Mythologie uns viel zu schaffen; sie veranlaßte zwischen Paul und mir erneuerte religiöse Gespräche, die unsre reizenden Spaziergänge durch die ächten Kastanienwälder des Riesensteines mehr als einmal verschönten. Schlossern wagten wir nicht mit unseren an die Mythologie des Gedichtes anknüpfenden Fragen und Zweifeln zu behelligen, weil wir ihn allzusehr für seinen Autor eingenommen glaubten.

Daß Gott Vater längst vor Erschaffung der Welt seinen eingebornen Sohn Christum, der ihm in allen Stücken gleich sein soll, erzeugt habe, dies ist eine Hypothese, die sich zur Noth aus dem Anfange des Evangeliums Johannis herausklauben läßt; daß Gott darauf den Engeln befohlen, Christum eben so wie ihn selbst anzubeten, daß ein Theil der Engel dies gethan, ein andrer sich geweigert, und dafür in die Hölle geworfen sei, dies ist eine andre Hypothese, von der weder im alten noch im neuen Testamente etwas vorkömmt, und die sehr stark an die Gigantomachie erinnert; sie mag von irgend einem alten Theologen oder Kirchenvater erdacht sein, um auf diese ganz menschliche

Milton deutsch vor, anfangs in ungebundener Rede, hin und wieder stockend; aber nach und nach erwärmte er sich an seinem Gegenstande, der Vortrag kam in Fluß, das jambische Metrum stellte sich von selbst ein, und seine Uebertragung gestaltete sich zu einer hochpoetischen Improvisation. Schlosser erklärte auch, wo es ihm nöthig schien, die dunkeln Stellen, und forderte uns auf, so viel zu fragen, als wir wollten. Dies geschah aber nur selten, teils um den Strom seiner metrischen Rede nicht zu unterbrechen, theils auch, weil Milton in sprachlicher Hinsicht keine besondern Schwierigkeiten darbietet. Doch machte Miltons wunderliche christliche Mythologie uns viel zu schaffen; sie veranlaßte zwischen Paul und mir erneuerte religiöse Gespräche, die unsre reizenden Spaziergänge durch die ächten Kastanienwälder des Riesensteines mehr als einmal verschönten. Schlossern wagten wir nicht mit unseren an die Mythologie des Gedichtes anknüpfenden Fragen und Zweifeln zu behelligen, weil wir ihn allzusehr für seinen Autor eingenommen glaubten.

Daß Gott Vater längst vor Erschaffung der Welt seinen eingebornen Sohn Christum, der ihm in allen Stücken gleich sein soll, erzeugt habe, dies ist eine Hypothese, die sich zur Noth aus dem Anfange des Evangeliums Johannis herausklauben läßt; daß Gott darauf den Engeln befohlen, Christum eben so wie ihn selbst anzubeten, daß ein Theil der Engel dies gethan, ein andrer sich geweigert, und dafür in die Hölle geworfen sei, dies ist eine andre Hypothese, von der weder im alten noch im neuen Testamente etwas vorkömmt, und die sehr stark an die Gigantomachie erinnert; sie mag von irgend einem alten Theologen oder Kirchenvater erdacht sein, um auf diese ganz menschliche

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[366/0374] Milton deutsch vor, anfangs in ungebundener Rede, hin und wieder stockend; aber nach und nach erwärmte er sich an seinem Gegenstande, der Vortrag kam in Fluß, das jambische Metrum stellte sich von selbst ein, und seine Uebertragung gestaltete sich zu einer hochpoetischen Improvisation. Schlosser erklärte auch, wo es ihm nöthig schien, die dunkeln Stellen, und forderte uns auf, so viel zu fragen, als wir wollten. Dies geschah aber nur selten, teils um den Strom seiner metrischen Rede nicht zu unterbrechen, theils auch, weil Milton in sprachlicher Hinsicht keine besondern Schwierigkeiten darbietet. Doch machte Miltons wunderliche christliche Mythologie uns viel zu schaffen; sie veranlaßte zwischen Paul und mir erneuerte religiöse Gespräche, die unsre reizenden Spaziergänge durch die ächten Kastanienwälder des Riesensteines mehr als einmal verschönten. Schlossern wagten wir nicht mit unseren an die Mythologie des Gedichtes anknüpfenden Fragen und Zweifeln zu behelligen, weil wir ihn allzusehr für seinen Autor eingenommen glaubten. Daß Gott Vater längst vor Erschaffung der Welt seinen eingebornen Sohn Christum, der ihm in allen Stücken gleich sein soll, erzeugt habe, dies ist eine Hypothese, die sich zur Noth aus dem Anfange des Evangeliums Johannis herausklauben läßt; daß Gott darauf den Engeln befohlen, Christum eben so wie ihn selbst anzubeten, daß ein Theil der Engel dies gethan, ein andrer sich geweigert, und dafür in die Hölle geworfen sei, dies ist eine andre Hypothese, von der weder im alten noch im neuen Testamente etwas vorkömmt, und die sehr stark an die Gigantomachie erinnert; sie mag von irgend einem alten Theologen oder Kirchenvater erdacht sein, um auf diese ganz menschliche

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/374>, abgerufen am 11.06.2024.