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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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wegung warf Sand sein Schnupftuch zur Erde, setzte sich ruhig auf den Stuhl und ließ sich die Augen verbinden. Ob er auch auf dem Stuhle festgebunden worden sei, konnten wir der Entfernung wegen und vor den auf der Bühne stehenden Personen nicht erkennen. Der Kopf fiel nicht auf den ersten Hieb; der Scharfrichter mußte nachhauen, wobei sein Schwerdt tief in Sands Schenkel fuhr. Das Blut sprang kaum halb so hoch, als es sonst gewöhnlich der Fall sein soll. Nun füllte sich die Bühne mit noch anderen Personen, und wir konnten von den weiteren Vorkomnissen nichts mehr sehn. Der zunehmende Regen zerstreute bald das Publikum, und tieferschüttert fuhren wir nach Heidelberg zurück.

Obgleich keiner von uns auch nur im entferntesten Sands That billigte oder beschönigte, so gestanden wir uns doch gegenseitig auf dem Rückwege, daß wir alle eine unbestimmte Hoffnung auf Begnadigung gehegt. Diese Erwartung herrschte auch allgemein in Mannheim; bis zum letzten Augenblicke hofften viele der Zuschauer, einen Eilboten mit einem weißen Tuche herbeisprengen zu sehn. Als dieser Herzenswunsch nicht in Erfüllung ging, erreichte der Sandkultus einen noch höheren Grad als früher; er hieß nicht anders als "der Heilige", und die Wiese, auf der er gestorben war, "die Auferstehungswiese". Man verehrte alles was man von seinen Sachen aus dem Gefängnisse erlangen konnte, wie eine Reliquie. Es wurden Schnupftücher in sein Blut getaucht, und blutige Späne vom Gerüste in großer Menge abgeschnitten; ja an unserm Mittagstische in Heidelberg erklärte ein sonst ganz ruhiger Pommer, Namens Rodewald, er habe einen solchen Span erlangt, und der sei ihm mehr werth als alle

wegung warf Sand sein Schnupftuch zur Erde, setzte sich ruhig auf den Stuhl und ließ sich die Augen verbinden. Ob er auch auf dem Stuhle festgebunden worden sei, konnten wir der Entfernung wegen und vor den auf der Bühne stehenden Personen nicht erkennen. Der Kopf fiel nicht auf den ersten Hieb; der Scharfrichter mußte nachhauen, wobei sein Schwerdt tief in Sands Schenkel fuhr. Das Blut sprang kaum halb so hoch, als es sonst gewöhnlich der Fall sein soll. Nun füllte sich die Bühne mit noch anderen Personen, und wir konnten von den weiteren Vorkomnissen nichts mehr sehn. Der zunehmende Regen zerstreute bald das Publikum, und tieferschüttert fuhren wir nach Heidelberg zurück.

Obgleich keiner von uns auch nur im entferntesten Sands That billigte oder beschönigte, so gestanden wir uns doch gegenseitig auf dem Rückwege, daß wir alle eine unbestimmte Hoffnung auf Begnadigung gehegt. Diese Erwartung herrschte auch allgemein in Mannheim; bis zum letzten Augenblicke hofften viele der Zuschauer, einen Eilboten mit einem weißen Tuche herbeisprengen zu sehn. Als dieser Herzenswunsch nicht in Erfüllung ging, erreichte der Sandkultus einen noch höheren Grad als früher; er hieß nicht anders als „der Heilige“, und die Wiese, auf der er gestorben war, „die Auferstehungswiese“. Man verehrte alles was man von seinen Sachen aus dem Gefängnisse erlangen konnte, wie eine Reliquie. Es wurden Schnupftücher in sein Blut getaucht, und blutige Späne vom Gerüste in großer Menge abgeschnitten; ja an unserm Mittagstische in Heidelberg erklärte ein sonst ganz ruhiger Pommer, Namens Rodewald, er habe einen solchen Span erlangt, und der sei ihm mehr werth als alle

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wegung warf Sand sein Schnupftuch zur Erde, setzte sich ruhig auf den Stuhl und ließ sich die Augen verbinden. Ob er auch auf dem Stuhle festgebunden worden sei, konnten wir der Entfernung wegen und vor den auf der Bühne stehenden Personen nicht erkennen. Der Kopf fiel nicht auf den ersten Hieb; der Scharfrichter mußte nachhauen, wobei sein Schwerdt tief in Sands Schenkel fuhr. Das Blut sprang kaum halb so hoch, als es sonst gewöhnlich der Fall sein soll. Nun füllte sich die Bühne mit noch anderen Personen, und wir konnten von den weiteren Vorkomnissen nichts mehr sehn. Der zunehmende Regen zerstreute bald das Publikum, und tieferschüttert fuhren wir nach Heidelberg zurück. </p><lb/>
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[359/0367] wegung warf Sand sein Schnupftuch zur Erde, setzte sich ruhig auf den Stuhl und ließ sich die Augen verbinden. Ob er auch auf dem Stuhle festgebunden worden sei, konnten wir der Entfernung wegen und vor den auf der Bühne stehenden Personen nicht erkennen. Der Kopf fiel nicht auf den ersten Hieb; der Scharfrichter mußte nachhauen, wobei sein Schwerdt tief in Sands Schenkel fuhr. Das Blut sprang kaum halb so hoch, als es sonst gewöhnlich der Fall sein soll. Nun füllte sich die Bühne mit noch anderen Personen, und wir konnten von den weiteren Vorkomnissen nichts mehr sehn. Der zunehmende Regen zerstreute bald das Publikum, und tieferschüttert fuhren wir nach Heidelberg zurück. Obgleich keiner von uns auch nur im entferntesten Sands That billigte oder beschönigte, so gestanden wir uns doch gegenseitig auf dem Rückwege, daß wir alle eine unbestimmte Hoffnung auf Begnadigung gehegt. Diese Erwartung herrschte auch allgemein in Mannheim; bis zum letzten Augenblicke hofften viele der Zuschauer, einen Eilboten mit einem weißen Tuche herbeisprengen zu sehn. Als dieser Herzenswunsch nicht in Erfüllung ging, erreichte der Sandkultus einen noch höheren Grad als früher; er hieß nicht anders als „der Heilige“, und die Wiese, auf der er gestorben war, „die Auferstehungswiese“. Man verehrte alles was man von seinen Sachen aus dem Gefängnisse erlangen konnte, wie eine Reliquie. Es wurden Schnupftücher in sein Blut getaucht, und blutige Späne vom Gerüste in großer Menge abgeschnitten; ja an unserm Mittagstische in Heidelberg erklärte ein sonst ganz ruhiger Pommer, Namens Rodewald, er habe einen solchen Span erlangt, und der sei ihm mehr werth als alle

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/367>, abgerufen am 24.11.2024.