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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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manchmal am Abendtische mit stieren Augen dasaß, ohne ein Wort zu sprechen, und sich früher als die andern entfernte. Den traurigen Grund davon erfuhren wir nur zu bald. Der Sohn war dem Trunke ergeben, kämpfte zwar mit aller Macht in sich selbst gegen dieses Laster, fiel aber von Zeit zu Zeit, wie alle unverbesserlichen Trinker, doch wieder darein zurück. Wenn diese zwingende Nothwendigkeit über ihn kam, so ging er gegen Abend in ein bekanntes Weinhaus am Paradeplatz, setzte sich ganz allein in einen abgelegenen Winkel, und ließ sich einen halben Schoppen des leichtesten Neckarweines geben. Hätte man in sein Inneres sehn können, so würde man vielleicht den festen Vorsatz wahrgenommen haben, heute nur diesen einen halben Schoppen zu trinken. Allein bald folgte ein zweiter, ein dritter, ein vierter, und man behauptete, daß er bis auf 22 halbe Schoppen gestiegen sei. Dann war er natürlich in einem Zustande, der wenig menschenähnliches mehr hatte: dennoch erschien er an der Abendtafel des Vaters, der, wie man allgemein behauptete, diese traurige Verirrung des Sohnes nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte.

Der alte Voss war damals mit der zweiten Auflage seiner Horazübersetzung beschäftigt, die er um so lieber übernommen, als ihm in der ersten Auflage das Unglück begegnet war, einen Heptameter statt eines Hexameters gemacht zu haben. Er steht Sat. 2, 3 v. 188

"König bin Ich;" - Nichts weiter verlang' ich Niederer. - "Und was gerecht ist."

Ein weniger strenger Geist würde vielleicht darüber gescherzt haben: denn wem sollte nicht irgend einmal ein

manchmal am Abendtische mit stieren Augen dasaß, ohne ein Wort zu sprechen, und sich früher als die andern entfernte. Den traurigen Grund davon erfuhren wir nur zu bald. Der Sohn war dem Trunke ergeben, kämpfte zwar mit aller Macht in sich selbst gegen dieses Laster, fiel aber von Zeit zu Zeit, wie alle unverbesserlichen Trinker, doch wieder darein zurück. Wenn diese zwingende Nothwendigkeit über ihn kam, so ging er gegen Abend in ein bekanntes Weinhaus am Paradeplatz, setzte sich ganz allein in einen abgelegenen Winkel, und ließ sich einen halben Schoppen des leichtesten Neckarweines geben. Hätte man in sein Inneres sehn können, so würde man vielleicht den festen Vorsatz wahrgenommen haben, heute nur diesen einen halben Schoppen zu trinken. Allein bald folgte ein zweiter, ein dritter, ein vierter, und man behauptete, daß er bis auf 22 halbe Schoppen gestiegen sei. Dann war er natürlich in einem Zustande, der wenig menschenähnliches mehr hatte: dennoch erschien er an der Abendtafel des Vaters, der, wie man allgemein behauptete, diese traurige Verirrung des Sohnes nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte.

Der alte Voss war damals mit der zweiten Auflage seiner Horazübersetzung beschäftigt, die er um so lieber übernommen, als ihm in der ersten Auflage das Unglück begegnet war, einen Heptameter statt eines Hexameters gemacht zu haben. Er steht Sat. 2, 3 v. 188

„König bin Ich;“ – Nichts weiter verlang’ ich Niederer. – „Und was gerecht ist.“

Ein weniger strenger Geist würde vielleicht darüber gescherzt haben: denn wem sollte nicht irgend einmal ein

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manchmal am Abendtische mit stieren Augen dasaß, ohne ein Wort zu sprechen, und sich früher als die andern entfernte. Den traurigen Grund davon erfuhren wir nur zu bald. Der Sohn war dem Trunke ergeben, kämpfte zwar mit aller Macht in sich selbst gegen dieses Laster, fiel aber von Zeit zu Zeit, wie alle unverbesserlichen Trinker, doch wieder darein zurück. Wenn diese zwingende Nothwendigkeit über ihn kam, so ging er gegen Abend in ein bekanntes Weinhaus am Paradeplatz, setzte sich ganz allein in einen abgelegenen Winkel, und ließ sich einen halben Schoppen des leichtesten Neckarweines geben. Hätte man in sein Inneres sehn können, so würde man vielleicht den festen Vorsatz wahrgenommen haben, heute nur diesen einen halben Schoppen zu trinken. Allein bald folgte ein zweiter, ein dritter, ein vierter, und man behauptete, daß er bis auf 22 halbe Schoppen gestiegen sei. Dann war er natürlich in einem Zustande, der wenig menschenähnliches mehr hatte: dennoch erschien er an der Abendtafel des Vaters, der, wie man allgemein behauptete, diese traurige Verirrung des Sohnes nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. </p><lb/>
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[336/0344] manchmal am Abendtische mit stieren Augen dasaß, ohne ein Wort zu sprechen, und sich früher als die andern entfernte. Den traurigen Grund davon erfuhren wir nur zu bald. Der Sohn war dem Trunke ergeben, kämpfte zwar mit aller Macht in sich selbst gegen dieses Laster, fiel aber von Zeit zu Zeit, wie alle unverbesserlichen Trinker, doch wieder darein zurück. Wenn diese zwingende Nothwendigkeit über ihn kam, so ging er gegen Abend in ein bekanntes Weinhaus am Paradeplatz, setzte sich ganz allein in einen abgelegenen Winkel, und ließ sich einen halben Schoppen des leichtesten Neckarweines geben. Hätte man in sein Inneres sehn können, so würde man vielleicht den festen Vorsatz wahrgenommen haben, heute nur diesen einen halben Schoppen zu trinken. Allein bald folgte ein zweiter, ein dritter, ein vierter, und man behauptete, daß er bis auf 22 halbe Schoppen gestiegen sei. Dann war er natürlich in einem Zustande, der wenig menschenähnliches mehr hatte: dennoch erschien er an der Abendtafel des Vaters, der, wie man allgemein behauptete, diese traurige Verirrung des Sohnes nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. Der alte Voss war damals mit der zweiten Auflage seiner Horazübersetzung beschäftigt, die er um so lieber übernommen, als ihm in der ersten Auflage das Unglück begegnet war, einen Heptameter statt eines Hexameters gemacht zu haben. Er steht Sat. 2, 3 v. 188 „König bin Ich;“ – Nichts weiter verlang’ ich Niederer. – „Und was gerecht ist.“ Ein weniger strenger Geist würde vielleicht darüber gescherzt haben: denn wem sollte nicht irgend einmal ein

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/344>, abgerufen am 22.11.2024.