Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].wo der Webstuhl seines Vaters und sein eigner gestanden; er erzählte uns, wie er als Knabe mit seinem Vater viermal jährlich die Leipziger Messe besucht, und in der Bude auf dem Markte geschlafen habe; da sei nicht selten bei der grimmigen Neujahrskälte sein Federbett am Morgen vom Hauche seines Mundes mit Eis überzogen gewesen. Manche weitläufigen Verwandten stellten sich ein, um den "Herrn Vetter aus Berlin" mit sächsischer Treuherzigkeit zu begrüßen; die jüngeren Personen erzählten von ihren Aeltern und Großältern sehr lange Geschichten, die mein Vater mit musterhafter Geduld anhörte. Seine beiden Vornamen "Daniel Friedrich" hatte man vor 70 Jahren in "Danenfritz" zusammengezogen, und es fand sich in der That ein alter Mann, der sich dieser Benennung unaufgefordert erinnerte. Bei allen solchen Erkennungsscenen behielt mein Vater seine ungetrübte Heiterkeit, während uns andern mehr als einmal die Thränen in die Augen traten. Auch das nahegelegene alte Schloß Sachsenburg ward besucht, von wo aus man einer schönen Fernsicht über die welligen Höhen des Erzgebirges genoß. In Tante Jettchens Zimmer in Berlin hatte ich oft eine saubere Sepiazeichnung von dem dresdner Maler Zingg betrachtet, die das Schloß Sachsenburg darstellte, und worunter mein Vater mit seiner festen sächsischen Hand geschrieben hatte: Geburtsgegend eines Freundes. Als wir zuerst wieder nach dem Poppitz zur Tante Keiner hinausgingen, sahen wir mit Erstaunen, daß das krumme finstre Pirnaische Thor verschwunden war und einer heitern Lindenallee Platz gemacht hatte. Mußte man dies auch als einen dankenswerthen Fortschritt anerkennen, so will ich doch nicht läugnen, daß das alte schauer- wo der Webstuhl seines Vaters und sein eigner gestanden; er erzählte uns, wie er als Knabe mit seinem Vater viermal jährlich die Leipziger Messe besucht, und in der Bude auf dem Markte geschlafen habe; da sei nicht selten bei der grimmigen Neujahrskälte sein Federbett am Morgen vom Hauche seines Mundes mit Eis überzogen gewesen. Manche weitläufigen Verwandten stellten sich ein, um den „Herrn Vetter aus Berlin“ mit sächsischer Treuherzigkeit zu begrüßen; die jüngeren Personen erzählten von ihren Aeltern und Großältern sehr lange Geschichten, die mein Vater mit musterhafter Geduld anhörte. Seine beiden Vornamen „Daniel Friedrich“ hatte man vor 70 Jahren in „Danenfritz“ zusammengezogen, und es fand sich in der That ein alter Mann, der sich dieser Benennung unaufgefordert erinnerte. Bei allen solchen Erkennungsscenen behielt mein Vater seine ungetrübte Heiterkeit, während uns andern mehr als einmal die Thränen in die Augen traten. Auch das nahegelegene alte Schloß Sachsenburg ward besucht, von wo aus man einer schönen Fernsicht über die welligen Höhen des Erzgebirges genoß. In Tante Jettchens Zimmer in Berlin hatte ich oft eine saubere Sepiazeichnung von dem dresdner Maler Zingg betrachtet, die das Schloß Sachsenburg darstellte, und worunter mein Vater mit seiner festen sächsischen Hand geschrieben hatte: Geburtsgegend eines Freundes. Als wir zuerst wieder nach dem Poppitz zur Tante Keiner hinausgingen, sahen wir mit Erstaunen, daß das krumme finstre Pirnaische Thor verschwunden war und einer heitern Lindenallee Platz gemacht hatte. Mußte man dies auch als einen dankenswerthen Fortschritt anerkennen, so will ich doch nicht läugnen, daß das alte schauer- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0304" n="296"/> wo der Webstuhl seines Vaters und sein eigner gestanden; er erzählte uns, wie er als Knabe mit seinem Vater viermal jährlich die Leipziger Messe besucht, und in der Bude auf dem Markte geschlafen habe; da sei nicht selten bei der grimmigen Neujahrskälte sein Federbett am Morgen vom Hauche seines Mundes mit Eis überzogen gewesen. Manche weitläufigen Verwandten stellten sich ein, um den „Herrn Vetter aus Berlin“ mit sächsischer Treuherzigkeit zu begrüßen; die jüngeren Personen erzählten von ihren Aeltern und Großältern sehr lange Geschichten, die mein Vater mit musterhafter Geduld anhörte. Seine beiden Vornamen „Daniel Friedrich“ hatte man vor 70 Jahren in „Danenfritz“ zusammengezogen, und es fand sich in der That ein alter Mann, der sich dieser Benennung unaufgefordert erinnerte. Bei allen solchen Erkennungsscenen behielt mein Vater seine ungetrübte Heiterkeit, während uns andern mehr als einmal die Thränen in die Augen traten. Auch das nahegelegene alte Schloß Sachsenburg ward besucht, von wo aus man einer schönen Fernsicht über die welligen Höhen des Erzgebirges genoß. In Tante Jettchens Zimmer in Berlin hatte ich oft eine saubere Sepiazeichnung von dem dresdner Maler Zingg betrachtet, die das Schloß Sachsenburg darstellte, und worunter mein Vater mit seiner festen sächsischen Hand geschrieben hatte: Geburtsgegend eines Freundes. </p><lb/> <p>Als wir zuerst wieder nach dem Poppitz zur Tante Keiner hinausgingen, sahen wir mit Erstaunen, daß das krumme finstre Pirnaische Thor verschwunden war und einer heitern Lindenallee Platz gemacht hatte. Mußte man dies auch als einen dankenswerthen Fortschritt anerkennen, so will ich doch nicht läugnen, daß das alte schauer- </p> </div> </body> </text> </TEI> [296/0304]
wo der Webstuhl seines Vaters und sein eigner gestanden; er erzählte uns, wie er als Knabe mit seinem Vater viermal jährlich die Leipziger Messe besucht, und in der Bude auf dem Markte geschlafen habe; da sei nicht selten bei der grimmigen Neujahrskälte sein Federbett am Morgen vom Hauche seines Mundes mit Eis überzogen gewesen. Manche weitläufigen Verwandten stellten sich ein, um den „Herrn Vetter aus Berlin“ mit sächsischer Treuherzigkeit zu begrüßen; die jüngeren Personen erzählten von ihren Aeltern und Großältern sehr lange Geschichten, die mein Vater mit musterhafter Geduld anhörte. Seine beiden Vornamen „Daniel Friedrich“ hatte man vor 70 Jahren in „Danenfritz“ zusammengezogen, und es fand sich in der That ein alter Mann, der sich dieser Benennung unaufgefordert erinnerte. Bei allen solchen Erkennungsscenen behielt mein Vater seine ungetrübte Heiterkeit, während uns andern mehr als einmal die Thränen in die Augen traten. Auch das nahegelegene alte Schloß Sachsenburg ward besucht, von wo aus man einer schönen Fernsicht über die welligen Höhen des Erzgebirges genoß. In Tante Jettchens Zimmer in Berlin hatte ich oft eine saubere Sepiazeichnung von dem dresdner Maler Zingg betrachtet, die das Schloß Sachsenburg darstellte, und worunter mein Vater mit seiner festen sächsischen Hand geschrieben hatte: Geburtsgegend eines Freundes.
Als wir zuerst wieder nach dem Poppitz zur Tante Keiner hinausgingen, sahen wir mit Erstaunen, daß das krumme finstre Pirnaische Thor verschwunden war und einer heitern Lindenallee Platz gemacht hatte. Mußte man dies auch als einen dankenswerthen Fortschritt anerkennen, so will ich doch nicht läugnen, daß das alte schauer-
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