Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

angehörig, hatte in der Revolution von 1789 alles verloren, wanderte nach Deutschland, und lebte als Verwalter auf den Gütern der Fürstin von Hohenzollern in Polnisch-Nettkow in Schlesien. Er stand mit meinem Vater schon lange in geschäftlichem Verkehr. Mit dem Sohne schloß ich bald die innigste Freundschaft, und ich darf es als ein besonderes Glück meines Lebens betrachten, daß diese Freundschaft sich noch jetzt (1870), nach 51jähriger Dauer in unveränderter Frische erhält.

Klein erkannte bald, daß Brassier außer einem schönen Tenor auch ein großes musikalisches Talent besitze; er schlug vor, ihm nebst einigen andern, wozu Paul, Abeken und ich gehörten, alle Woche ein paar Singstunden zu geben, und zwar, weil gar keine andre Zeit aufzufinden war, morgens von 7-8 Uhr. Das erste Mal fanden wir Klein im Bette, wo er sich zu unserer Verwunderung, liegend rasiren ließ, und uns zugleich erzählte, er sei gestern Abend etwas spät aus dem Weinhause von Lutter und Wegner gekommen, wo der Teufels-Hoffmann drei Tasten auf dem Klavier zerschlagen habe; wenn nun Lutter zufällig diese drei Tasten anschlüge, so werde er glauben, das ganze Instrument sei stumm geworden. In jenem Weinhause pflegten sich nämlich Ludwig Devrient, E. T. W. Hoffmann der Novellist, Herklots der Theaterdichter, und andre berliner Notabilitäten häufig zu versammeln. Nun raffte Klein sich rasch auf, und war gleich bei der Sache, indem er ganz gründlich mit der Tonleiter den Anfang machte. Ein anderes Mal trafen wir Klein fest schlafend, und das Licht neben seinem Bette bis in den Leuchter hinein abgebrannt. - Warum kommt ihr heute so früh? - Es ist 71/2 Uhr. - So? nun, ich habe

angehörig, hatte in der Revolution von 1789 alles verloren, wanderte nach Deutschland, und lebte als Verwalter auf den Gütern der Fürstin von Hohenzollern in Polnisch-Nettkow in Schlesien. Er stand mit meinem Vater schon lange in geschäftlichem Verkehr. Mit dem Sohne schloß ich bald die innigste Freundschaft, und ich darf es als ein besonderes Glück meines Lebens betrachten, daß diese Freundschaft sich noch jetzt (1870), nach 51jähriger Dauer in unveränderter Frische erhält.

Klein erkannte bald, daß Brassier außer einem schönen Tenor auch ein großes musikalisches Talent besitze; er schlug vor, ihm nebst einigen andern, wozu Paul, Abeken und ich gehörten, alle Woche ein paar Singstunden zu geben, und zwar, weil gar keine andre Zeit aufzufinden war, morgens von 7–8 Uhr. Das erste Mal fanden wir Klein im Bette, wo er sich zu unserer Verwunderung, liegend rasiren ließ, und uns zugleich erzählte, er sei gestern Abend etwas spät aus dem Weinhause von Lutter und Wegner gekommen, wo der Teufels-Hoffmann drei Tasten auf dem Klavier zerschlagen habe; wenn nun Lutter zufällig diese drei Tasten anschlüge, so werde er glauben, das ganze Instrument sei stumm geworden. In jenem Weinhause pflegten sich nämlich Ludwig Devrient, E. T. W. Hoffmann der Novellist, Herklots der Theaterdichter, und andre berliner Notabilitäten häufig zu versammeln. Nun raffte Klein sich rasch auf, und war gleich bei der Sache, indem er ganz gründlich mit der Tonleiter den Anfang machte. Ein anderes Mal trafen wir Klein fest schlafend, und das Licht neben seinem Bette bis in den Leuchter hinein abgebrannt. – Warum kommt ihr heute so früh? – Es ist 7½ Uhr. – So? nun, ich habe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0294" n="286"/>
angehörig, hatte in der Revolution von 1789 alles verloren, wanderte nach Deutschland, und lebte als Verwalter auf den Gütern der Fürstin von Hohenzollern in Polnisch-Nettkow in Schlesien. Er stand mit meinem Vater schon lange in geschäftlichem Verkehr. Mit dem Sohne schloß ich bald die innigste Freundschaft, und ich darf es als ein besonderes Glück meines Lebens betrachten, daß diese Freundschaft sich noch jetzt (1870), nach 51jähriger Dauer in unveränderter Frische erhält. </p><lb/>
        <p>Klein erkannte bald, daß Brassier außer einem schönen Tenor auch ein großes musikalisches Talent besitze; er schlug vor, ihm nebst einigen andern, wozu Paul, Abeken und ich gehörten, alle Woche ein paar Singstunden zu geben, und zwar, weil gar keine andre Zeit aufzufinden war, morgens von 7&#x2013;8 Uhr. Das erste Mal fanden wir Klein im Bette, wo er sich zu unserer Verwunderung, liegend rasiren ließ, und uns zugleich erzählte, er sei gestern Abend etwas spät aus dem Weinhause von Lutter und Wegner gekommen, wo der Teufels-Hoffmann drei Tasten auf dem Klavier zerschlagen habe; wenn nun Lutter zufällig diese drei Tasten anschlüge, so werde er glauben, das ganze Instrument sei stumm geworden. In jenem Weinhause pflegten sich nämlich Ludwig Devrient, E. T. W. Hoffmann der Novellist, Herklots der Theaterdichter, und andre berliner Notabilitäten häufig zu versammeln. Nun raffte Klein sich rasch auf, und war gleich bei der Sache, indem er ganz gründlich mit der Tonleiter den Anfang machte. Ein anderes Mal trafen wir Klein fest schlafend, und das Licht neben seinem Bette bis in den Leuchter hinein abgebrannt. &#x2013; Warum kommt ihr heute so früh? &#x2013; Es ist 7½ Uhr. &#x2013; So? nun, ich habe
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0294] angehörig, hatte in der Revolution von 1789 alles verloren, wanderte nach Deutschland, und lebte als Verwalter auf den Gütern der Fürstin von Hohenzollern in Polnisch-Nettkow in Schlesien. Er stand mit meinem Vater schon lange in geschäftlichem Verkehr. Mit dem Sohne schloß ich bald die innigste Freundschaft, und ich darf es als ein besonderes Glück meines Lebens betrachten, daß diese Freundschaft sich noch jetzt (1870), nach 51jähriger Dauer in unveränderter Frische erhält. Klein erkannte bald, daß Brassier außer einem schönen Tenor auch ein großes musikalisches Talent besitze; er schlug vor, ihm nebst einigen andern, wozu Paul, Abeken und ich gehörten, alle Woche ein paar Singstunden zu geben, und zwar, weil gar keine andre Zeit aufzufinden war, morgens von 7–8 Uhr. Das erste Mal fanden wir Klein im Bette, wo er sich zu unserer Verwunderung, liegend rasiren ließ, und uns zugleich erzählte, er sei gestern Abend etwas spät aus dem Weinhause von Lutter und Wegner gekommen, wo der Teufels-Hoffmann drei Tasten auf dem Klavier zerschlagen habe; wenn nun Lutter zufällig diese drei Tasten anschlüge, so werde er glauben, das ganze Instrument sei stumm geworden. In jenem Weinhause pflegten sich nämlich Ludwig Devrient, E. T. W. Hoffmann der Novellist, Herklots der Theaterdichter, und andre berliner Notabilitäten häufig zu versammeln. Nun raffte Klein sich rasch auf, und war gleich bei der Sache, indem er ganz gründlich mit der Tonleiter den Anfang machte. Ein anderes Mal trafen wir Klein fest schlafend, und das Licht neben seinem Bette bis in den Leuchter hinein abgebrannt. – Warum kommt ihr heute so früh? – Es ist 7½ Uhr. – So? nun, ich habe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/294
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/294>, abgerufen am 24.11.2024.