Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].viel Schlaf nachzuholen, weil ich die beiden letzten Nächte spät ins Bett gekommen bin. Fangt nur immer an, die Tonleiter zu singen. - So ging es fort, und wenn auf der einen Seite diese Nachlässigkeiten uns abstießen, so waren wir doch wie an ihn gebannt, denn die Zweckmäßigkeit seiner Lehrmethode ließ sich nicht verkennen. Da wir drei, Paul, Abeken und ich sehr wenig Stimme und noch weniger Gehör hatten, so beschäftigte sich Klein fast ausschließlich mit Brassier, dessen Stimme wie eine Sonne daherstrahlte, und der alles, was Klein ihm vorlegte, vom Blatte sang. Diese Zurücksetzung fing an, mich zu wurmen, und ich wollte einmal Klein unter vier Augen sein Unrecht zu Gemüthe führen. "Närrischer Kerl", sagte er lachend, "hast du denn nicht längst gemerkt, daß ich euch drei bloß als Füllsteine brauche, um die Quartette zu Stande zu bringen?" In Folge davon hörte die Singstunde sehr bald auf. Das Studium des italiänischen hatte ich eifrig fortgesetzt, und sogar eine italiänische Gesellschaft gestiftet, die sich alle 14 Tage bei mir versammelte. Zu ihr gehörten Paul, Abeken, Koberstein, Kreuser und einige andere. Wir lasen anfangs den Tasso, stiegen aber bald zum Dante hinauf, und dieser einzige Dichter ist seitdem unter den Italiänern mein Lieblingsschriftsteller geblieben. Ich habe mich aber nie zu der Höhe derjenigen Danteforscher erheben können, die den poetischen Gehalt des Paradiso mit seinen dunkeln christlichen Allegorien und spitzfindigen scholastischen Deductionen höher stellen wollen als das durch und durch dramatische, von Gedankenblitzen leuchtende Inferno. In des Grosvaters Bibliothek fanden wir die trefflichen Ausgaben von Venturi und Biscioni, die auf viel Schlaf nachzuholen, weil ich die beiden letzten Nächte spät ins Bett gekommen bin. Fangt nur immer an, die Tonleiter zu singen. – So ging es fort, und wenn auf der einen Seite diese Nachlässigkeiten uns abstießen, so waren wir doch wie an ihn gebannt, denn die Zweckmäßigkeit seiner Lehrmethode ließ sich nicht verkennen. Da wir drei, Paul, Abeken und ich sehr wenig Stimme und noch weniger Gehör hatten, so beschäftigte sich Klein fast ausschließlich mit Brassier, dessen Stimme wie eine Sonne daherstrahlte, und der alles, was Klein ihm vorlegte, vom Blatte sang. Diese Zurücksetzung fing an, mich zu wurmen, und ich wollte einmal Klein unter vier Augen sein Unrecht zu Gemüthe führen. „Närrischer Kerl“, sagte er lachend, „hast du denn nicht längst gemerkt, daß ich euch drei bloß als Füllsteine brauche, um die Quartette zu Stande zu bringen?“ In Folge davon hörte die Singstunde sehr bald auf. Das Studium des italiänischen hatte ich eifrig fortgesetzt, und sogar eine italiänische Gesellschaft gestiftet, die sich alle 14 Tage bei mir versammelte. Zu ihr gehörten Paul, Abeken, Koberstein, Kreuser und einige andere. Wir lasen anfangs den Tasso, stiegen aber bald zum Dante hinauf, und dieser einzige Dichter ist seitdem unter den Italiänern mein Lieblingsschriftsteller geblieben. Ich habe mich aber nie zu der Höhe derjenigen Danteforscher erheben können, die den poetischen Gehalt des Paradiso mit seinen dunkeln christlichen Allegorien und spitzfindigen scholastischen Deductionen höher stellen wollen als das durch und durch dramatische, von Gedankenblitzen leuchtende Inferno. In des Grosvaters Bibliothek fanden wir die trefflichen Ausgaben von Venturi und Biscioni, die auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0295" n="287"/> viel Schlaf nachzuholen, weil ich die beiden letzten Nächte spät ins Bett gekommen bin. 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viel Schlaf nachzuholen, weil ich die beiden letzten Nächte spät ins Bett gekommen bin. Fangt nur immer an, die Tonleiter zu singen. – So ging es fort, und wenn auf der einen Seite diese Nachlässigkeiten uns abstießen, so waren wir doch wie an ihn gebannt, denn die Zweckmäßigkeit seiner Lehrmethode ließ sich nicht verkennen.
Da wir drei, Paul, Abeken und ich sehr wenig Stimme und noch weniger Gehör hatten, so beschäftigte sich Klein fast ausschließlich mit Brassier, dessen Stimme wie eine Sonne daherstrahlte, und der alles, was Klein ihm vorlegte, vom Blatte sang. Diese Zurücksetzung fing an, mich zu wurmen, und ich wollte einmal Klein unter vier Augen sein Unrecht zu Gemüthe führen. „Närrischer Kerl“, sagte er lachend, „hast du denn nicht längst gemerkt, daß ich euch drei bloß als Füllsteine brauche, um die Quartette zu Stande zu bringen?“ In Folge davon hörte die Singstunde sehr bald auf.
Das Studium des italiänischen hatte ich eifrig fortgesetzt, und sogar eine italiänische Gesellschaft gestiftet, die sich alle 14 Tage bei mir versammelte. Zu ihr gehörten Paul, Abeken, Koberstein, Kreuser und einige andere. Wir lasen anfangs den Tasso, stiegen aber bald zum Dante hinauf, und dieser einzige Dichter ist seitdem unter den Italiänern mein Lieblingsschriftsteller geblieben. Ich habe mich aber nie zu der Höhe derjenigen Danteforscher erheben können, die den poetischen Gehalt des Paradiso mit seinen dunkeln christlichen Allegorien und spitzfindigen scholastischen Deductionen höher stellen wollen als das durch und durch dramatische, von Gedankenblitzen leuchtende Inferno. In des Grosvaters Bibliothek fanden wir die trefflichen Ausgaben von Venturi und Biscioni, die auf
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/295>, abgerufen am 27.07.2024. |