Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Als Paul bemerkte, daß ich mich in Jean Pauls abrupte Darstellungsweise verliebte und vertiefte, ja sogar seinen Styl in meinen Aufsätzen und Briefen nachzuahmen suchte, so rieth er mir, als Gegengift Lessings Schriften zur Hand zu nehmen. Ich sah wohl ein, daß er Recht habe, befolgte aber seinen Rath nicht eher, als bis die Leidenschaft für Jean Paul befriedigt, und mithin überwunden war. Lessings unnachahmliche, seelenvolle Prosa verfehlte nicht, den grösten Eindruck zu machen. Merkwürdig genug waren damals seine Dramen fast ganz von der berliner Bühne verschwunden, auf welcher Kotzebues geistreiche Karakterlosigkeit sich breit machte. Lessings Meisterwerke, Emilia Gralotti, Minna von Barnhelm und den tendenziösen Nathan lernten wir zuerst durch Lesung kennen. Ueber den letzteren gerieth ich mit meinem lieben Paul in eine religiöse Kontroverse. Während ich die, dem frivolen Boccaccio entnommene Erzählung von den drei Ringen, den Kern und Angelpunkt des Ganzen, als einen Ausdruck der edelsten Toleranz betrachtete, so wollte Paul darin eine Herabsetzung des Christenthums finden, insofern es nicht als die vollkommenste Religion hingestellt, sondern dem Islam und Judenthume beinahe gleichgesetzt werde. Er citirte mir aus Schlegels Athenäum den affektirt-witzigen Satz: Tolerantismus ist Geist der kastrirten Illiberalität. Der Patriarch als Vertreter des Christenthums, meinte Paul, sei doch offenbar eine Karrikatur, und wenig geeignet, für seine unduldsame Lehre einzunehmen. Dagegen suchte ich ihm zu beweisen: so gut wie der liebe Gott bis jetzt auf der Erde neben dem Christenthume nicht bloß das Judenthum und den Islam, sondern alle möglichen andern Religionen dulde, eben so gut könne der Lessingsche Gott,

Als Paul bemerkte, daß ich mich in Jean Pauls abrupte Darstellungsweise verliebte und vertiefte, ja sogar seinen Styl in meinen Aufsätzen und Briefen nachzuahmen suchte, so rieth er mir, als Gegengift Lessings Schriften zur Hand zu nehmen. Ich sah wohl ein, daß er Recht habe, befolgte aber seinen Rath nicht eher, als bis die Leidenschaft für Jean Paul befriedigt, und mithin überwunden war. Lessings unnachahmliche, seelenvolle Prosa verfehlte nicht, den grösten Eindruck zu machen. Merkwürdig genug waren damals seine Dramen fast ganz von der berliner Bühne verschwunden, auf welcher Kotzebues geistreiche Karakterlosigkeit sich breit machte. Lessings Meisterwerke, Emilia Gralotti, Minna von Barnhelm und den tendenziösen Nathan lernten wir zuerst durch Lesung kennen. Ueber den letzteren gerieth ich mit meinem lieben Paul in eine religiöse Kontroverse. Während ich die, dem frivolen Boccaccio entnommene Erzählung von den drei Ringen, den Kern und Angelpunkt des Ganzen, als einen Ausdruck der edelsten Toleranz betrachtete, so wollte Paul darin eine Herabsetzung des Christenthums finden, insofern es nicht als die vollkommenste Religion hingestellt, sondern dem Islam und Judenthume beinahe gleichgesetzt werde. Er citirte mir aus Schlegels Athenäum den affektirt-witzigen Satz: Tolerantismus ist Geist der kastrirten Illiberalität. Der Patriarch als Vertreter des Christenthums, meinte Paul, sei doch offenbar eine Karrikatur, und wenig geeignet, für seine unduldsame Lehre einzunehmen. Dagegen suchte ich ihm zu beweisen: so gut wie der liebe Gott bis jetzt auf der Erde neben dem Christenthume nicht bloß das Judenthum und den Islam, sondern alle möglichen andern Religionen dulde, eben so gut könne der Lessingsche Gott,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0283" n="275"/>
        </p><lb/>
        <p>Als Paul bemerkte, daß ich mich in Jean Pauls abrupte Darstellungsweise verliebte und vertiefte, ja sogar seinen Styl in meinen Aufsätzen und Briefen nachzuahmen suchte, so rieth er mir, als Gegengift Lessings Schriften zur Hand zu nehmen. Ich sah wohl ein, daß er Recht habe, befolgte aber seinen Rath nicht eher, als bis die Leidenschaft für Jean Paul befriedigt, und mithin überwunden war. Lessings unnachahmliche, seelenvolle Prosa verfehlte nicht, den grösten Eindruck zu machen. Merkwürdig genug waren damals seine Dramen fast ganz von der berliner Bühne verschwunden, auf welcher Kotzebues geistreiche Karakterlosigkeit sich breit machte. Lessings Meisterwerke, Emilia Gralotti, Minna von Barnhelm und den tendenziösen Nathan lernten wir zuerst durch Lesung kennen. Ueber den letzteren gerieth ich mit meinem lieben Paul in eine religiöse Kontroverse. Während ich die, dem frivolen Boccaccio entnommene Erzählung von den drei Ringen, den Kern und Angelpunkt des Ganzen, als einen Ausdruck der edelsten Toleranz betrachtete, so wollte Paul darin eine Herabsetzung des Christenthums finden, insofern es nicht als die vollkommenste Religion hingestellt, sondern dem Islam und Judenthume beinahe gleichgesetzt werde. Er citirte mir aus Schlegels Athenäum den affektirt-witzigen Satz: Tolerantismus ist Geist der kastrirten Illiberalität. Der Patriarch als Vertreter des Christenthums, meinte Paul, sei doch offenbar eine Karrikatur, und wenig geeignet, für seine unduldsame Lehre einzunehmen. Dagegen suchte ich ihm zu beweisen: so gut wie der liebe Gott bis jetzt auf der Erde neben dem Christenthume nicht bloß das Judenthum und den Islam, sondern alle möglichen andern Religionen dulde, eben so gut könne der Lessingsche Gott,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0283] Als Paul bemerkte, daß ich mich in Jean Pauls abrupte Darstellungsweise verliebte und vertiefte, ja sogar seinen Styl in meinen Aufsätzen und Briefen nachzuahmen suchte, so rieth er mir, als Gegengift Lessings Schriften zur Hand zu nehmen. Ich sah wohl ein, daß er Recht habe, befolgte aber seinen Rath nicht eher, als bis die Leidenschaft für Jean Paul befriedigt, und mithin überwunden war. Lessings unnachahmliche, seelenvolle Prosa verfehlte nicht, den grösten Eindruck zu machen. Merkwürdig genug waren damals seine Dramen fast ganz von der berliner Bühne verschwunden, auf welcher Kotzebues geistreiche Karakterlosigkeit sich breit machte. Lessings Meisterwerke, Emilia Gralotti, Minna von Barnhelm und den tendenziösen Nathan lernten wir zuerst durch Lesung kennen. Ueber den letzteren gerieth ich mit meinem lieben Paul in eine religiöse Kontroverse. Während ich die, dem frivolen Boccaccio entnommene Erzählung von den drei Ringen, den Kern und Angelpunkt des Ganzen, als einen Ausdruck der edelsten Toleranz betrachtete, so wollte Paul darin eine Herabsetzung des Christenthums finden, insofern es nicht als die vollkommenste Religion hingestellt, sondern dem Islam und Judenthume beinahe gleichgesetzt werde. Er citirte mir aus Schlegels Athenäum den affektirt-witzigen Satz: Tolerantismus ist Geist der kastrirten Illiberalität. Der Patriarch als Vertreter des Christenthums, meinte Paul, sei doch offenbar eine Karrikatur, und wenig geeignet, für seine unduldsame Lehre einzunehmen. Dagegen suchte ich ihm zu beweisen: so gut wie der liebe Gott bis jetzt auf der Erde neben dem Christenthume nicht bloß das Judenthum und den Islam, sondern alle möglichen andern Religionen dulde, eben so gut könne der Lessingsche Gott,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/283
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/283>, abgerufen am 11.06.2024.