Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

unserer Unterredungen. Paulis ältester Sohn Reinhold, Professor der Geschichte in Göttingen, der im Jahre 1867 die preußische Sache so mannhaft gegen die würtenbergischen Anfeindungen vertheidigte, hat die Freundschaft seines Vaters auch auf mich übergetragen.

Mit seinem Kollegen Marheineke stand Schleiermacher in dem besten Verhältnisse, obgleich ihre theologischen Anschauungen weit auseinander gingen. Schleiermacher setzte den Urgrund aller Religion in ein Abhängigkeitsgefühl des menschlichen Geistes, der einer höheren Macht willig oder unwillig sich unterordnet. Marheineke hatte die Religion früher mehr von der ästhetischen Seite aufgefaßt; seitdem er aber Hegel kennen gelernt, wurde er dessen eifrigster Anhänger, und versuchte es, die strengen Formen der Hegelschen Philosophie auf das religiöse Gebiet überzutragen. Ich ließ mir von meinen theologischen Freunden sagen, daß ihm dies nicht immer gelungen sei, und daß man namentlich in seinem Handbuche der Dogmatik die gehörige Klarheit vermisse. Im Sprechzimmer der Universität kam einst die Rede auf den Tabak, und es stellte sich heraus, daß Schleiermacher gar nicht rauche; Marheineke aber versicherte, er rauche am liebsten bei der Arbeit, und je stärker er rauche, desto besser gehe die Arbeit von Statten. Schleiermacher schrieb damals auch an einer Dogmatik, hatte aber Marheinekes Buch noch nicht gelesen. "Wenn ich daran komme", sagte er zu Pauli, "so werde ich ja sehn, wo die Wolken ihn am dichtesten umschwebt haben."

In meiner ersten Universitätszeit erregte die litterarische Fehde zwischen Fr. A. Wolf auf der einen, Bekker, Buttmann und Schleiermacher auf der andern Seite ein

unserer Unterredungen. Paulis ältester Sohn Reinhold, Professor der Geschichte in Göttingen, der im Jahre 1867 die preußische Sache so mannhaft gegen die würtenbergischen Anfeindungen vertheidigte, hat die Freundschaft seines Vaters auch auf mich übergetragen.

Mit seinem Kollegen Marheineke stand Schleiermacher in dem besten Verhältnisse, obgleich ihre theologischen Anschauungen weit auseinander gingen. Schleiermacher setzte den Urgrund aller Religion in ein Abhängigkeitsgefühl des menschlichen Geistes, der einer höheren Macht willig oder unwillig sich unterordnet. Marheineke hatte die Religion früher mehr von der ästhetischen Seite aufgefaßt; seitdem er aber Hegel kennen gelernt, wurde er dessen eifrigster Anhänger, und versuchte es, die strengen Formen der Hegelschen Philosophie auf das religiöse Gebiet überzutragen. Ich ließ mir von meinen theologischen Freunden sagen, daß ihm dies nicht immer gelungen sei, und daß man namentlich in seinem Handbuche der Dogmatik die gehörige Klarheit vermisse. Im Sprechzimmer der Universität kam einst die Rede auf den Tabak, und es stellte sich heraus, daß Schleiermacher gar nicht rauche; Marheineke aber versicherte, er rauche am liebsten bei der Arbeit, und je stärker er rauche, desto besser gehe die Arbeit von Statten. Schleiermacher schrieb damals auch an einer Dogmatik, hatte aber Marheinekes Buch noch nicht gelesen. „Wenn ich daran komme“, sagte er zu Pauli, „so werde ich ja sehn, wo die Wolken ihn am dichtesten umschwebt haben.“

In meiner ersten Universitätszeit erregte die litterarische Fehde zwischen Fr. A. Wolf auf der einen, Bekker, Buttmann und Schleiermacher auf der andern Seite ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0240" n="232"/>
unserer Unterredungen. Paulis ältester Sohn Reinhold, Professor der Geschichte in Göttingen, der im Jahre 1867 die preußische Sache so mannhaft gegen die würtenbergischen Anfeindungen vertheidigte, hat die Freundschaft seines Vaters auch auf mich übergetragen. </p><lb/>
        <p>Mit seinem Kollegen Marheineke stand Schleiermacher in dem besten Verhältnisse, obgleich ihre theologischen Anschauungen weit auseinander gingen. Schleiermacher setzte den Urgrund aller Religion in ein Abhängigkeitsgefühl des menschlichen Geistes, der einer höheren Macht willig oder unwillig sich unterordnet. Marheineke hatte die Religion früher mehr von der ästhetischen Seite aufgefaßt; seitdem er aber Hegel kennen gelernt, wurde er dessen eifrigster Anhänger, und versuchte es, die strengen Formen der Hegelschen Philosophie auf das religiöse Gebiet überzutragen. Ich ließ mir von meinen theologischen Freunden sagen, daß ihm dies nicht immer gelungen sei, und daß man namentlich in seinem Handbuche der Dogmatik die gehörige Klarheit vermisse. Im Sprechzimmer der Universität kam einst die Rede auf den Tabak, und es stellte sich heraus, daß Schleiermacher gar nicht rauche; Marheineke aber versicherte, er rauche am liebsten bei der Arbeit, und je stärker er rauche, desto besser gehe die Arbeit von Statten. Schleiermacher schrieb damals auch an einer Dogmatik, hatte aber Marheinekes Buch noch nicht gelesen. &#x201E;Wenn ich daran komme&#x201C;, sagte er zu Pauli, &#x201E;so werde ich ja sehn, wo die Wolken ihn am dichtesten umschwebt haben.&#x201C; </p><lb/>
        <p>In meiner ersten Universitätszeit erregte die litterarische Fehde zwischen Fr. A. Wolf auf der einen, Bekker, Buttmann und Schleiermacher auf der andern Seite ein
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0240] unserer Unterredungen. Paulis ältester Sohn Reinhold, Professor der Geschichte in Göttingen, der im Jahre 1867 die preußische Sache so mannhaft gegen die würtenbergischen Anfeindungen vertheidigte, hat die Freundschaft seines Vaters auch auf mich übergetragen. Mit seinem Kollegen Marheineke stand Schleiermacher in dem besten Verhältnisse, obgleich ihre theologischen Anschauungen weit auseinander gingen. Schleiermacher setzte den Urgrund aller Religion in ein Abhängigkeitsgefühl des menschlichen Geistes, der einer höheren Macht willig oder unwillig sich unterordnet. Marheineke hatte die Religion früher mehr von der ästhetischen Seite aufgefaßt; seitdem er aber Hegel kennen gelernt, wurde er dessen eifrigster Anhänger, und versuchte es, die strengen Formen der Hegelschen Philosophie auf das religiöse Gebiet überzutragen. Ich ließ mir von meinen theologischen Freunden sagen, daß ihm dies nicht immer gelungen sei, und daß man namentlich in seinem Handbuche der Dogmatik die gehörige Klarheit vermisse. Im Sprechzimmer der Universität kam einst die Rede auf den Tabak, und es stellte sich heraus, daß Schleiermacher gar nicht rauche; Marheineke aber versicherte, er rauche am liebsten bei der Arbeit, und je stärker er rauche, desto besser gehe die Arbeit von Statten. Schleiermacher schrieb damals auch an einer Dogmatik, hatte aber Marheinekes Buch noch nicht gelesen. „Wenn ich daran komme“, sagte er zu Pauli, „so werde ich ja sehn, wo die Wolken ihn am dichtesten umschwebt haben.“ In meiner ersten Universitätszeit erregte die litterarische Fehde zwischen Fr. A. Wolf auf der einen, Bekker, Buttmann und Schleiermacher auf der andern Seite ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/240
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/240>, abgerufen am 19.05.2024.